Val Colla TI (© M. Volken)

Brunnen SZ (© M. Volken)

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Scuol GR (© M. Volken)

Grindelwald BE (© M. Volken)

Attraktiver Wohnraum als wichtige Grundlage für die Berggebietsentwicklung

Bergdörfer könnten vom derzeitigen Trend «zurück aufs Land» profitieren. Junge Erwachsene möchten ihre Zukunft oftmals in Berggemeinden, in denen sie aufgewachsen sind, aufbauen. Doch dafür fehlt der entsprechende Wohnraum. Was kann getan werden?

Die Berggebietspolitik zu gestalten ist eine spannende und vielfältige Aufgabe. Darauf angesprochen, was denn die wichtigsten Themen hierzu sind, werden rasch die Klassiker wie Tourismus, Wasserzins oder Landwirtschaft genannt. Doch welche Themen sind eigentlich für die Jugendlichen im Berggebiet wichtig? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit sie auch nach dem Abschluss der Lehre oder des Studiums in ihren Bergdörfern wohnen bleiben?

Anliegen der Jugendlichen aufnehmen

Genau diese Fragen haben wir seitens der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete SAB Jugendlichen aus verschiedenen Berggemeinden gestellt, welche unser Label «Jugendfreundliche Bergdörfer» tragen. Die Antworten sind eindeutig. Drei Viertel aller Jugendlichen möchten gerne in ihren Gemeinden wohnen bleiben. Sie sehen durchaus ein Zukunftspotenzial in ihren Gemeinden. Es sind vor allem drei Faktoren, welche für die Jugendlichen entscheidend sind: die Verfügbarkeit von preiswerten Mietwohnungen, eine gute Erreichbarkeit mit dem öffentlichen Verkehr und attraktive Freizeitangebote.

Preiswerte Mietwohnungen als Schlüsselfaktor

Ein Schlüsselfaktor ist die Verfügbarkeit von preiswerten Mietwohnungen. Denn Jugendliche können sich nach dem Abschluss der Ausbildung noch keine Eigentumswohnung leisten. Zudem wissen sie oft noch nicht, wie ihr Lebensentwurf aussieht. Werden sie wirklich längerfristig im Bergdorf bleiben? Wie wird sich ihre private und berufliche Situation entwickeln? Sie suchen in erster Linie preisgünstige Mietwohnungen – und finden keine. In vielen Bergdörfern gibt es zwar leerstehende Wohnungen, doch diese entsprechen oft nicht modernen Bedürfnissen

Doppelter Gewinn für Gemeinden

Hier könnten die Gemeinden einspringen. Warum nicht ein älteres, leerstehendes Gebäude aufkaufen, sanieren und anschliessend an junge Einheimische vermieten? Oder Bauland im Baurecht an eine Wohnbaugenossenschaft abgeben, die dafür preiswerte Wohnungen erstellt? Samedan (GR) hat beispielsweise genau dies getan und Wohnraum geschaffen, welcher exklusiv für Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren bestimmt ist. Für die Gemeinde entsteht ein mehrfacher Nutzen. Die Jugendlichen bleiben vor Ort, die Abwanderung wird gestoppt, die Gemeinde erhält langfristig Mieteinnahmen und Steuererträge. Ein spannender Ansatz sind auch Mehrgenerationenhäuser, da dadurch der Dialog zwischen den Generationen in den Bergdörfern gestärkt werden kann.


Jede Gemeinde hat andere Voraussetzungen. Auch touristisch geprägte Gemeinden kämpfen mit fehlenden Mietwohnungen. Dies aber aus einem ganz anderen Grund. Der Wohnungsmarkt ist ausgetrocknet und die Wohnungen fehlen vor allem für die saisonalen Arbeitskräfte und zum Teil sogar für die Einheimischen. Auch Familien und Seniorinnen und Senioren haben ganz spezifische Bedürfnisse. Gefragt ist also Wohnraum, der auf die unterschiedlichen Bedürfnisse zugeschnitten ist. Zudem ist derzeit in vielen Bergregionen ein Trend «zurück aufs Land» spürbar. Homeoffice hat sich mit der Corona-Pandemie als Arbeitsform etabliert. Wer auch nur ein oder zwei Tage in der Woche von zu Hause aus arbeitet, nimmt dafür an den anderen Tagen längere Pendeldistanzen in Kauf.

Einschränkungen durch Bundesgesetze

Dieser Trend «zurück aufs Land» ist eine einmalige Chance für viele Bergdörfer. Zuzügerinnen und Zuzüger suchen teils sogar gezielt Wohnraum in den Bergen, da sie von der schönen Landschaft und Natur profitieren möchten. Und eine Pendlerdistanz von einer halben Stunde ist für sie ein Klacks. Nun, wenn die Nachfrage so gross ist, wäre es doch naheliegend, wenn neue (Miet-)Wohnungen gebaut würden. Doch so einfach ist das nicht. Kapitalkräftige institutionelle Anleger wie Banken und Pensionskassen scheuen sich (noch), in Projekte in Bergdörfern zu investieren. Neubauten werden zudem stark eingeschränkt durch die Raumplanungsgesetzgebung. In vielen Bergdörfern kommt dazu noch die Zweitwohnungsgesetzgebung, die paradoxerweise nicht nur Zweitwohnungen, sondern auch den Erstwohnungsmarkt betrifft.

Leitfaden zeigt Handlungsoptionen

Was sollen also die Gemeinden in dieser Situation tun? Ein neuer Leitfaden, herausgegeben vom Bundesamt für Wohnungswesen BWO und der SAB zeigt Handlungsoptionen auf. Wichtig ist, dass die Gemeinden zusammen mit der Bevölkerung eine klare räumliche Entwicklungsstrategie erarbeiten. Bestandteil einer derartigen Entwicklungsstrategie ist die Wohnraumpolitik. Das zentrale Steuerungsinstrument bildet dabei die Raumplanung, die mehr umfasst, als einen Zonenplan farbig anzumalen. Sie ist ein strategisches Führungsinstrument jeder Gemeinde. Die Gemeinde kann nicht nur steuern, was wo gebaut wird, sondern sie kann auch Renovationen und Umbauten fördern, um den Dorfkern zu beleben.


Wohnraum schaffen alleine genügt jedoch nicht. Ebenso wichtig ist ein attraktives soziales Umfeld. Dazu gehören unter anderem eine gute Erreichbarkeit, Kindertagesstätten, Schulen und Freizeitangebote. Und spätestens hier wird klar, dass eine Wohnraumpolitik wohl am besten gleich in Zusammenarbeit mit den Nachbargemeinden entwickelt wird. Diese Angebote müssen zudem bekannt gemacht werden, so dass potenzielle Neuzuzügerinnen und Neuzuzüger sie auch wahrnehmen. Das Gemeinschaftsprojekt «valais4you» im Oberwallis ist diesbezüglich schweizweit vorbildlich.

Vor einer Woche, am 31. Oktober 2022, haben Bundesrat Guy Parmelin und Thomas Egger den neuen Leitfaden «Attraktives Wohnen in Berggebieten» der Öffentlichkeit präsentiert. © Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete SAB

Wohnraumpolitik ist auch Standortpolitik

Finanzielle Unterstützung für die Wohnraumförderung gibt es unter anderem vom Bund. Doch leider werden im eidgenössischen Parlament die bescheidenen Budgets des Bundesamtes für Wohnungswesen immer wieder in Frage gestellt und reduziert. Für die Zukunft muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass eine aktive Wohnraumpolitik ein wichtiges Element der Standortpolitik und der Berggebietspolitik ist. Ohne attraktiven Wohnraum können sich Gemeinden nicht entwickeln. Standortpolitik und Wohnraumförderung müssen deshalb gestärkt werden und noch enger zusammenarbeiten.

Ziel des Leitfadens «Attraktives Wohnen in Berggebieten» ist es, Gemeinden in Bergregionen bei einer aktiven Wohnstandortpolitik zu unterstützen. Weitere Informationen sowie der Leitfaden sind hier zu finden.


Der seit 1943 bestehende Verein Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete SAB vertritt die Interessen der Berggebiete und ländlichen Räume und informiert die Öffentlichkeit über deren Anliegen.

Jugendliche aus diversen Berggemeinden gestalten ihre Zukunft in den Berggebieten im Rahmen des Labels «Jugendfreundliche Bergdörfer» mit. Dadurch wird der Abwanderung entgegengewirkt.