Photovoltaik in den Alpen: zentraler Baustein für die Energiewende
Ob Photovoltaik eine sinnlose Verschandelung der Landschaft oder vielmehr einen wichtigen Beitrag zur Energiewende darstellt, darüber wurde lange diskutiert. Inzwischen hat die Schweiz den Bau von Photovoltaik-Anlagen verschlafen. Soll das Pariser Klimaabkommen eingehalten werden, sind diese jedoch unumgänglich.
Es ist weitgehend unbestritten, dass die Schweiz ihre Treibhausgasemissionen auf Netto-Null reduzieren muss und dabei der Elektrifizierung des Energiesystems eine Schlüsselrolle zukommt. Die Energieperspektiven 2050+ des Bundes zeigen vier mögliche Szenarien auf, wie Netto-Null bis 2050 erreicht werden könnte. Bei der meines Erachtens realistischsten Variante beträgt der Beitrag der Photovoltaik 39 Terrawattstunden (TWh) pro Jahr. Gemäss eigenen Berechnungen wird der Bedarf an Strom aus Photovoltaik eher noch höher sein und sich in der Grössenordnung von 44 TWh pro Jahr bewegen. Die heutige PV-Produktion beträgt rund 3 TWh.
Die Schweiz verfehlt die Pariser Klimaziele deutlich
Im Klimavertrag von Paris hat sich die Schweiz 2015 dazu verpflichtet, ihren Beitrag zu leisten, um die globale Erhitzung auf deutlich unter 2 °C, wenn immer möglich auf 1.5 °C, zu begrenzen. Durch den Weltklimarat (IPCC) wurde ein globales Budget der Treibhausgasemissionen berechnet, um dieses Ziel zu erreichen. Verteilt man dieses globale Budget anhand der Einwohnerzahlen auf alle Länder der Erde, so würde die Schweiz mit der Umsetzung des Netto-Null-Ziels bis 2050 gemäss den oben erwähnten Energieperspektiven 2050+ mehr als 2,5-mal so hohe Treibhausgasemissionen verursachen, wie ihr zustehen. Mit anderen Worten: Die Schweizer Klimaziele sind deutlich ungenügend. Das Netto-Null-Ziel muss spätestens 2035 (und nicht erst 2050) erreicht werden, um die globale Erhitzung auf 1.5 °C zu begrenzen. Dies hat zur Konsequenz, dass der oben erwähnte Ausbau der Photovoltaik-Produktion innerhalb der kommenden 13 Jahren erfolgen muss.
Die Krux mit den PV-Potenzialen
Allein auf den Schweizer Dachflächen beträgt das wirtschaftliche Potenzial rund 54 TWh pro Jahr. Die Realisierung dieses Potenzials auf den Dachflächen würde bedeuten, dass mehr als 95 Prozent der Schweizer Gebäude über eine PV-Anlage auf dem Dach verfügen. Um den Vertrag von Paris zu erfüllen, müssten demzufolge praktisch alle Gebäudebesitzer:innen in den nächsten 13 Jahren vom Bau einer PV-Anlage auf ihren Dächern überzeugt werden. Dies ist ohne Obligatorium nicht realistisch: Schon die Hälfte der Gebäudebesitzer:innen zu überzeugen, wäre ein sehr ambitioniertes Ziel. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass das Potenzial beim Bau von Photovoltaik-Anlagen jeweils nur zur Hälfte ausgenutzt wird. Summiert man beide Effekte zusammen, reduziert sich das Potenzial der Photovoltaik auf Dachflächen auf grob 15 bis 20 TWh pro Jahr.
Wie können denn die eingangs erwähnten 39 oder 44 TWh pro Jahr aus Photovoltaik erreicht werden? Neben Dachflächen bestehen selbstverständlich weitere Potenziale an Fassaden, über Parkplätze hinweg, entlang von Autobahnen oder auf Seen. Die Umsetzung unterliegt jedoch derselben Problematik wie im Falle der Dächer: Die Besitzer:innen müssen zuerst überzeugt werden, freiwillig und spätestens bis 2035 diese PV-Anlagen zu bauen.
Alpine PV-Anlagen: Swiss army knife der Energieversorgung
Die Schweiz hat die Energiewende verschlafen: Das aktuelle Ausbautempo für Photovoltaik-Anlagen muss fast verdreifacht werden, um Netto-Null bis 2050 zu erreichen. Um den Klimavertrag von Paris zu erfüllen, und damit Netto-Null bis 2035 zu erreichen, muss sogar um den Faktor 6 rascher ausgebaut werden. Aufgrund der beschränkten Ressourcen der Branche und der hohen Dringlichkeit ist dies praktisch nur noch mit einer Fokussierung auf den Bau von möglichst grossen PV-Anlagen zu schaffen. Zusätzlich zur Beschleunigung des Ausbaus sollte auch mehr Strom im Winter produziert werden. Dank einer generell hohen solaren Einstrahlung, wenig Hochnebel, Reflexionen an der Schneeoberfläche und tiefen Temperaturen lässt sich im Gebirge auch im Winter viel Strom erzeugen. Als grobe Faustregel fallen im Mittelland etwa 25 Prozent und in den Alpen etwa 50 Prozent des Jahresertrages im Winter an. Da der Jahresertrag im alpinen Raum typischerweise um den Faktor 1.5 bis 2 höher ausfällt als im Mittelland, wird in den Alpen etwa 3- bis 4-mal so viel Winterstrom pro Fläche erzeugt wie im Mittelland. Die massiv höhere Energieproduktion im Winterhalbjahr machen alpine PV-Anlagen wirtschaftlich besonders attraktiv.
Alpine Photovoltaik leistet einen wichtigen Beitrag sowohl zur Stromproduktion im Winter als auch zum beschleunigten Ausbau der Stromproduktion in der Schweiz. Beides wird dringend gebraucht. Es ist deshalb sinnvoll, noch heute PV-Anlagen mit einer Mindestfläche von zehn Hektaren an unterschiedlichen Standorten im Gebirge zu bauen. Nur so gelangen wir zu den aus Photovoltaik erzeugten 39 beziehungsweise 44 TWh pro Jahr. Anhand dieser Anlagen können zudem Erfahrungen und Wissen gesammelt werden, unter anderem, wie negative Einflüsse auf die Biodiversität minimiert werden können oder, welche Bauweise in welchen Gebieten wirtschaftlich am sinnvollsten ist. Je länger wir damit zuwarten, desto eher müssen solche Anlagen später überhastet und ohne wirkliche Kenntnis der Konsequenzen gebaut werden.