Den Ausbau erneuerbarer Energien biodiversitäts- und landschaftsverträglich planen
Die Errichtung neuer Photovoltaik (PV)-Anlagen scheint über der Waldgrenze im Berggebiet dank der hohen Sonneneinstrahlung im Winter besonders attraktiv zu sein. Auf welche Weise können diese biodiversitäts- und landschaftsverträglich geplant werden? Und wie verhält sich die Bevölkerung zu den geplanten Projekten?
Der Druck bezüglich Energieversorgungssicherheit und Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien steigt, was sich aktuell in politischen Geschäften wie beispielsweise dem sogenannten «Solarexpress» zur Förderung von Solar- und insbesondere Winterstrom sowie dem «Mantelerlass» zeigt. Was bedeuten die beiden Initiativen für den Alpenraum?
Zum «Solarexpress»
Der «Solarexpress» hat eine zeitlich eher kurzfristige Dimension: Anlagen, die bis Ende 2025 zumindest teilweise am Netz sind, können von Bundessubventionen profitieren. So ist es möglich, PV-Freiflächenanlagen ohne Planungspflicht zu errichten, das heisst, ohne das vorherige Ausscheiden von Gebieten in einem Richtplan oder einer Nutzungszone. Allerdings haben diese PV-Freiflächenanlagen langfristig Auswirkungen auf Natur und Landschaft. So ist zum Beispiel aktuell kaum bekannt, wie sich eine PV-Freiflächenanlage oberhalb der Baumgrenze während Bau und Betrieb konkret auf die Biodiversität auswirkt. Erste Feldaufnahmen der Vogelwarte sind 2023 gestartet, um an geplanten PV-Anlagestandorten Vorher-Nachher-Vergleiche der Vogelwelt machen zu können.
Im Gegensatz zur Biodiversität sind die Auswirkungen auf die Landschaft offensichtlicher, wenn auch insofern komplex, als dass die Qualität einer Landschaft eine Frage der persönlichen Wahrnehmung ist. Landschaftsargumente werden von Projektgegner:innen lokal oft als Argument gegen den Bau von PV-Freiflächenanlagen beigezogen. Visualisierungen von Grossanlagen haben zum Beispiel im Saflischtal (Gemeinde Grengiols, VS) die Runde gemacht und mitunter dazu geführt, die Anlagengrösse zu redimensionieren. Es wurden bereits in einigen Gemeindeabstimmungen Projekte zu PV-Freiflächenanlagen abgelehnt, was zeigt, dass die Akzeptanz durch die lokale Bevölkerung zentral für die Realisierung ist. Da die Planungspflicht im Rahmen des Solarexpresses entfällt, ist die Gemeinde durch das Erteilen der Baubewilligung die entscheidende Instanz, ob eine Anlage gebaut wird oder nicht.
Zum «Mantelerlass»
Die zweite aktuelle Gesetzesvorlage, der «Mantelerlass», soll längerfristig den Ausbau der erneuerbaren Energien in der Schweiz fördern. So ist hier eine Planungspflicht vorgesehen; das heisst, dass die Kantone im Richtplan konkret geeignete Gebiete für Wasserkraft-, Windkraft- und neu auch Photovoltaikanlagen bezeichnen müssen. In diesen Gebieten hat die Produktion erneuerbarer Energien Vorrang gegenüber anderen nationalen Interessen. Um Biodiversität und Landschaft – die gerade im hochalpinen Raum unter grossem Druck stehen – zu schonen, ist eine sorgfältige Planung aus Sicht verschiedenster Interessensgruppen umso wichtiger. Es laufen aktuell verschiedene Projekte, die diese Interessenabwägungen vereinfachen und Grundlagen zur Verfügung stellen möchten.
Erneuerbare Energien, Biodiversität und Landschaftsqualität
Die Energiekommission der Akademien Schweiz, das Forum Biodiversität Schweiz, ProClim und das Forum Landschaft, Alpen, Pärke (alles Einheiten der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz SCNAT) identifizieren in einem gemeinsamen Projekt Kriterien für Gebiete zur Produktion von erneuerbaren Energien, die möglichst wenig Konflikte mit Biodiversität und Landschaftsqualität aufweisen. Unter Beizug wissenschaftlicher Expert:innen sowie eines breiten Kreises interessierter Stakeholder wurden diese Kriterien 2022 und 2023 in drei Workshops erarbeitet.
Es wurden zudem Vorschläge für die Umsetzung dieser Kriterien in konkrete Parameter für PV-Freiflächenanlagen erarbeitet, da hier aufgrund der neuen Planungspflicht der dringlichste Bedarf seitens möglicher Anwender besteht. Im April 2024 erscheint nun ein Bericht mit den Kriterien, dem Umsetzungsvorschlag für PV-Anlagen, den Prämissen und Limiten sowie der Entstehungsgeschichte der Resultate. Zielpublikum dieser Publikation sind etwa Kantone, die geeignete Gebiete in ihren Richtplänen ausscheiden müssen, Energieproduzenten sowie weitere Interessierte.
Umgang mit Zielkonflikten und Datenlücken
Auch die ETH Zürich hat in einer «Joint Initiative», einem Programm zum gemeinsamen Angehen grosser Herausforderungen, das Thema «Sustainable Pathways of Environmental and Energy Development towards Net Zero Switzerland (SPEED2ZERO)» aufgenommen. In dem gross angelegten Projekt setzen sich die Forschenden auf verschiedensten Ebenen mit Fragen rund um den Ausbau der erneuerbaren Energien auseinander. Die Frage der Konfliktminimierung zwischen Anliegen der Energieproduktion sowie dem Erhalt von Biodiversität und Landschaftsqualität steht auch hier in einem Teilbereich im Fokus. Die Forschungsgruppe von Prof. Dr. Adrienne Grêt-Regamey am Institut für Raum- und Landschaftsentwicklung der ETH bereitet vorhandene Datengrundlagen auf, um die räumlichen Zielkonflikte darzustellen.
Aufgrund der aktuell vorhandenen Daten kann davon ausgegangen werden, dass es durchaus Gebiete mit hohem Potenzial zur Energieproduktion gibt, die geringe Konflikte mit dem Erhalt der Biodiversität sowie der Landschaftsqualität aufweisen. Ob und wie weit diese allerdings zum Erreichen der Ausbauziele erneuerbarer Energien reichen, ist noch unklar. Eine grundsätzliche Herausforderung ist, dass umfassende Daten wie zum Ist-Zustand der Biodiversität oberhalb der Baumgrenze weitgehend fehlen. Werden wir es als Gesellschaft schaffen, die Energiewende zu beschleunigen, ohne dabei unsere wertvollsten Landschaften und Lebensräume aufzugeben?
Wie weiter?
Der Mantelerlass ist politisch kaum umstritten. Zwar wurde gegen ihn das fakultative Referendum ergriffen, und das Schweizer Volk wird am 9. Juni 2024 über das Gesetz abstimmen, aber die Gesetzesvorlage spaltet lediglich die SVP. So hat sie an ihrer Generalversammlung hitzig über die Parole diskutiert und sich, entgegen der bundesrätlichen Position und der klaren Mehrheit des Parlaments (lediglich 19 von 200 Nationalrät:innen stimmten dagegen), für ein Nein entschieden.
Solide Datengrundlagen und eine sorgfältige räumliche Planung scheinen der Schlüssel zum Umgang mit dem Spannungsfeld «Energiewende – Biodiversität – Landschaftsqualität» zu sein. Mit guten Grundlagen und Argumenten kann auch die Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber erneuerbaren Energieanlagen erhöht werden. Entscheidend ist auch, wie sich die Bevölkerung einbringen und zu Projekten äussern kann. Die Haltung von Einheimischen gegenüber konkreten Projekten zum Ausbau erneuerbarer Energien ist zentral – das wurde im bisherigen Diskurs deutlich.