Gruontal/Eggberge UR (© M. Volken)

Gruontal/Eggberge UR (© M. Volken)

Gruontal/Eggberge UR (© M. Volken)

Gruontal/Eggberge UR (© M. Volken)

Gruontal/Eggberge UR (© M. Volken)

Brenzen statt brennen: Wie wir das CO2 fruchtbar machen

Land-, Forst- und Energiewirtschaft schliessen sich zusammen und kehren den Kohlenstoffzyklus um. In den Alpen entziehen wir der Atmosphäre mehr Kohlendioxid als wir freisetzen. Der Bannwald generiert zusätzlichen ökonomischen und ökologischen Mehrwert.

An diesem Spätsommertag weht noch immer ein heisser, trockener Wind. Aufgebrochen sind wir von den Eggbergen über Altdorf im Herzen der Schweiz. Unser Blick schweift zurück über die Gebirgskette, welche am Rophaien jäh über dem Urnersee abbricht. Die Kalksteinbänder erinnern uns an den Grund des Urmeers Tethys, den die Kontinentaldrift vor hundert Millionen Jahren zusammenzuschieben begann. Mit dem Feldstecher nehmen wir unser Wanderziel in den Blick: den Urner Talboden, von Industrie- und Wohnbauten durchsetzt, durchschnitten von Autobahn, Eisenbahntransit und Fluss. Die Wiesen und Maisfelder in vertrocknetem Braun. Offenbar ist ihr Untergrund zu sandig und zu kiesig und speichert keinen Tropfen Wasser mehr. Das Rauschen des Windes durchsetzt das Knacken der nach Wasser lechzenden Bäume hier im Bannwald über dem Hauptort des Kantons. Fein säuberlich sind die Holzscheite am Wegrand zu hohen Scheiterbeigen geschichtet. Wieviel Aufwand betreibt man doch, um den Wald widerstandsfähig zu halten und damit das Tal zu schützen! Inzwischen beginnt der Preis angesichts erhöhter Energiepreise auch für Brennholz anzuziehen. Weiterhin werden in Deutschland riesige Flächen vom Borkenkäfer befallener ausgetrockneter Fichtenwälder abgeholzt und direkt nach China verfrachtet, wo sie als erneuerbare Energieträger in Kohlekraftwerken verbrannt werden und so die Ökobilanz angeblich aufwerten. Doch Holz ist nicht einfach «Biomasse» die Energie liefert. Es ist weit mehr – wie die soeben eröffnete Berglodge aus Mondholz hier in den Eggbergen eindrücklich belegt.

Kalksteinbänder am Rophaien, Blick vom Schartihöreli. Foto: Marco Volken.

Carbon Farming – auf Pflanzenkohle basierte Landwirtschaft

Im Gebirgsraum weiss man das Holz in Form von Wärmeenergie zu nutzen. Holzschnitzelanlagen erzeugen Energie aus Holz, das – wie im Bannwald – auf eine Weise geschlagen worden ist, dass es wieder nachwachsen kann. Die Fernwärme für Wohnen und Industrie hier im Talboden gilt somit als erneuerbar. Zurück bleibt Asche, welche noch von Tschernobyl so radioaktiv oder vom Verkehr so schwermetallbelastet sein kann, dass sie manchmal auf dem Sondermüll landet. An dieser Schwachstelle setzt das Carbon Farming an, eine auf Pflanzenkohle basierte Landwirtschaft: Das Holz wird nicht mehr abgebrannt, sondern nur noch pyrolysiert, früher auch «brenzen» genannt. Zwar wird damit nur rund die Hälfte der im Holz gespeicherten Energie in Wärme umgewandelt. Doch zurück bleibt wertvolle Pflanzenkohle. Diese bildet die Grundlage für eine ganze Kaskade von weiteren Nutzungsmöglichkeiten. Im Unterschied zur Asche, welche die Böden belastet, wirkt die Kohle wie ein Schwamm. Ihre Grossporigkeit und ihre Stabilität garantieren eine riesige Oberfläche, auf der sich Wasser und Nährstoffe ablagern und für die Pflanzen wertvolle Mikroorganismen ansiedeln können. Wie wir das von Aktivkohlefiltern kennen, absorbiert die Pflanzenkohle ebenfalls Schadstoffe und stellt damit sicher, dass diese nicht mehr in lebende Materie und somit in die Nahrungskette gelangt.

Terra Preta – Schwarze Erde

Dieses neue Produkt, welches aus der Holzpyrolyse gewonnen wird, ist einfach zu wertvoll, um es ganz abzubrennen. Es erhöht bei der Kompostierung sowohl den Kohlenstoff- wie auch den Stickstoffgehalt und macht so die Erde fruchtbar. Bereits die Portugiesen sprachen von der Terra Preta, der Schwarzen Erde, als sie im 16. Jahrhundert auf diese menschengemachten fruchtbaren Böden im Amazonas stiessen – im tropischen Regenwald, der meist auf unfruchtbarem rotem und saurem Laterituntergrund ohne Humusschicht zu wachsen hat. Und selbst die Slawen im heutigen Ostdeutschland wussten im Mittelalter, wie sie ihren sandigen Untergrund fruchtbar machen konnten, indem sie den Mist mit Pflanzenkohle versetzten und erst dann ausbrachten.

Das Mehrfache des heutigen Holzpreises

Heute spielt ein zusätzlicher Faktor die entscheidende Rolle: die CO2-Bepreisung. Der Schaden, den inzwischen jede zusätzliche Tonne Kohlendioxid in der Atmosphäre verursacht, ist eigentlich nicht mehr bezifferbar. Er reicht – abhängig davon, welche bisher externalisierten Kosten man in Rechnung stellt – von lokalen Dürreausfällen und Hitzetoten über Schäden von Überschwemmungen und Murgängen bis zur Unbelebbarkeit ganzer Landstriche in naher Zukunft. Demgegenüber kann ich mit jeder Tonne Pflanzenkohle der Atmosphäre langfristig nahezu drei Tonnen Kohlendioxid entnehmen. Mit dem heutigen Kohlendioxidpreis im Zertifikathandel, der für jedes europäische Kohlenkraftwerk gilt, erzeugen wir einen Gegenwert von rund hundert Franken. Nehmen wir den Preis für CO2, welches maschinell direkt aus der Luft gefiltert wird, so können wir mit dem fast 20-fachen Gewinn rechnen. Noch bevor wir also die Pflanzenkohle in Landwirtschaft und Gartenbau einsetzen, hat sie einen Wert, der den heutigen Holzpreis bereits übersteigt.

Klimapositivität erreicht

Jahre sind ins Land gegangen. Inzwischen haben wir das untere Ende des Bannwalds erreicht und erahnen das zukünftige enorme Potenzial des mühsam geschlagenen Holzes für die Biosphäre. In der Urner Reussebene angekommen, sind die Dächer der verstreuten Industrie- und Wohngebäude allesamt grossflächig von Photovoltaikanlagen überdeckt. Der Wind hat aufgefrischt. Denn Strassen, Parkfelder und Wege, mit Solartrackern versehen, spenden wertvollen Schatten an diesem heissen Spätsommertag. Wir ziehen vorbei an grünen Feldern, geschützt von hohen Pappeln, Weiden, Hecken und Weihern. Die Kombination von Bäumen und Feldern nennt man Agroforst, und diese erhöht die Biodiversität markant. Die Erde ist schwarz statt sandig grau. Hier in der Urner Reussebene hatte man einst entwickelt, was für die weiten Ackerflächen Europas inzwischen zum Segen wurde: eine nachhaltige und ertragreiche Landwirtschaft.

Eine lebbare Atmosphäre schaffen

Unser Blick schweift nochmals hoch zu den Kalkbändern am Rophaien, zu diesen mächtigen Karbonatspeichern der Vergangenheit. Sie haben den vielen Kohlenstoff aufgenommen, der einst in der Atmosphäre war und der für die heutige Pflanzen- und Tierwelt in der damaligen Konzentration tödlich wäre. Die Pflanzen wussten schon vor Jahrmillionen, dass sie sich ihre eigene lebbare Atmosphäre schaffen. Und nicht nur das: Sie erhöhten markant den Sauerstoffgehalt, was Tieren die Atmung erlaubte. Und wir haben es inzwischen auch gelernt: Wir mussten den Pflanzen unter die Arme greifen, damit sich der Kohlendioxidgehalt nicht Jahr für Jahr weiter erhöhte, sondern endlich wieder senken liess. Mit ihnen haben wir den Kohlenstoffzyklus umgekehrt und den atmosphärischen Klimagasgehalt wieder auf ein Niveau reduziert, mit dem das Klima nicht weiter aus den Angeln gehoben wurde, sondern sich wieder in die gewohnten Bahnen des Holozäns einpendeln konnte...

Das Carbon Farming nimmt eine althergebrachte Praxis der kontrollierten Verkohlung von Biomasse und Humusaufbau (z.B. Terra preta de Indios etc.) wieder auf und hat sich inzwischen in Kalifornien etabliert, wo aber die frei zur Verfügung stehende Biomasse (Holz etc.) ein rares Gut ist.


Der Alpenraum weist gegenwärtig den Vorteil auf, dass die Biomasse im Überfluss zur Verfügung steht. Gerade in der Zentralschweiz wurden in der Folge des Orkantiefs Lothar 1999 Holzschnitzelheizungen zur Sturmholzverwertung installiert. Inzwischen steht ein Generationenwechsel an: Die Verbrennungsheizungen können durch Pyrolyseanlagen ersetzt werden.


Erste Pyrolyseanlagen werden in der Schweiz in Betrieb genommen, exemplarisch dafür in Basel und an weiteren Standorten. Auch im Kanton Uri ist das Interesse an solchen Anlagen gross.

Inzwischen gibt es verschiedene Initiativen zur klimapositiven Landwirtschaft in der Schweiz, so AgroCO2ncept im Flaachtal und die Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden.


Für die Kopplung von Bergwaldbewirtschaftung und Landwirtschaft muss die Mehrfachnutzung der Pflanzenkohle sichergestellt werden. Das beinhaltet zum einen eine Zertifizierung der Pflanzenkohle für ihren landwirtschaftlichen Einsatz (EBC-Certificate), zum anderen für den CO2-Markt (z.B. in Humusaufbauprogrammen wie in der Ökoregion Kaindorf).


Den Wert für den atmosphärischen CO2-Gehalt haben wir 1987 bei 350 ppm (parts per million) überschritten. Es gilt, diesen Zielwert in diesem Jahrhundert durch CO2-Rückbindung wieder zu erreichen, damit das Klima nicht in eine Heisszeit kippt. Allgemein zu den Planetaren Grenzen.

Zur Terra Preta: einschlägig die Forschung an der Cornell-Universität (NY).

Zur Dekontaminierung von Böden durch Pflanzenkohle: https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2018.02.156 oder auch https://pubs.acs.org/doi/abs/10.1021/es050191b.