Alte Häuser im Oberwallis: Mehr Lichter in historischen Dorfkernen
Von der Sonne schwarz gebranntes Holz. Dächer mit Steinplatten oder Schindeln gedeckt. Kleine Fenster- und Türöffnungen, die einst Schutz vor Wind und Wetter boten. Die jahrhundertealten Häuser in den Dörfern des Wallis sind wahrliche Schmuckstücke – doch wie können sie bewohnt werden?
Beliebter Wohnraum waren die alten Häuser in den Walliser Dorfkernen bis anhin nicht. Zu gering war der Wohnkomfort, zu gross der Aufwand eines Umbaus. Individuallösungen verteuern die Umbaukosten historischer Gebäude, hinzu kommen Unsicherheiten im Bewilligungsprozess aufgrund denkmalpflegerischer Vorgaben. Es kommen einige Gründe zusammen, welche Umbauten für eine sanierungswillige Bauherrschaft wenig attraktiv machen. Eine vor einigen Jahren in Goms durchgeführte Masterarbeit kam zum Schluss, dass die Renovationen der typischen alten Holzhäuser ihre Besitzer:innen durchschnittlich 20% mehr kosten als Sanierungen gewöhnlicher Häuser. Hinzu kommt, dass mit den meist kleinen und innerhalb des Dorfkerns eng zusammengedrängten Gebäuden etliche Einschränkungen verbunden sind: Geringe Geschosshöhen, relativ dunkle Zimmer mit kleinen Grundrissen und fehlende Aussenräume. Wer also historische Objekte saniert, muss Leidenschaft für die Geschichte seines Hauses mitbringen und über entsprechende finanzielle Mittel verfügen.
Alte Bausubstanz erhält mehr Anerkennung
Damit die historischen Dorfkerne im Oberwallis für Einheimische und Gäste längerfristig attraktiv und belebt bleiben, muss idealerweise auf verschiedenen Ebenen gehandelt werden. Auch wenn Bewohner:innen solcher Gebäude vermehrt den Wert ihres Eigentums erkannt haben und dieses für nachfolgende Generationen bewahren möchten, können entsprechende Hilfestellungen und Rahmenbedingungen einen zusätzlichen Katalysatoreffekt auslösen. Das seit 2016 in Kraft getretene Zweitwohnungsgesetz – das übrigens anlässlich der Volksabstimmung im März 2012 von fast drei Viertel der Walliser Stimmenden deutlich abgelehnt wurde – hat aus dieser Perspektive eine willkommene Entwicklung in Gang gesetzt. Weil Neubauten von Zweitwohnungen nicht mehr möglich sind, erhält die bestehende Bausubstanz mehr Anerkennung. Im Goms, das mit seinen zahlreichen ISOS-geschützten Dorfkernen über ein einzigartiges baukulturelles Erbe verfügt, ist man sich dieser Verantwortung vermehrt bewusst. Vor einigen Jahren wurde beispielsweise im Landschaftspark Binntal das Projekt Dorfkernerneuerung gestartet und ein Förderreglement entwickelt, mit dem die Parkgemeinden Bauherrschaften bei grösseren Sanierungen von Erstwohnungen mit Beiträgen von bis 10% der Investitionssumme unterstützen können.
Wie können Umbauten erleichtert werden?
Der Landschaftspark hat zusammen mit der «energieregionGOMS» und lokalen Handwerker:innen, Planer:innen und Architekt:innen 2018 auch ein Innosuisse-Projekt lanciert. Ziel des Projekts mit dem Namen «VETA/NOVA» war es, die historischen Gebäude im Wallis nachhaltig zu erhalten und erneuern, damit aus Altem («VETA») wieder Neues («NOVA») entstehen kann. In den letzten drei Jahren der intensiven und interdisziplinären Zusammenarbeit entstanden verschiedene Leitfäden und Musterlösungen zu Themen wie Baubewilligungsprozess, Gebäudeanalyse und Gestaltung. Die erarbeiteten Lösungen sollen private Bauherrschaften und Behörden dabei unterstützen, Renovationen einfacher und vor allem mit weniger Zeit- und Kostenaufwand durchzuführen.
Eine weitere Initiative, die ebenfalls vom Landschaftspark Binntal mitgetragen wird, ist die Realisierung eines dezentralen Hotels im Dorfkern von Grengiols. Die Idee für ein Dorfhotel war vor einigen Jahren im Austausch zwischen Einwohner:innen und Gemeindeverantwortlichen entstanden. Das dezentrale Konzept, bei dem im Unterschied zu einem traditionellen Hotel die Leistungen nicht nur an einem einzigen Ort, sondern in verschiedenen Gebäuden am Dorfplatz angeboten werden, ist künftiges Alleinstellungsmerkmal und Positionierung zugleich: Im Dorfhotel werden künftig Einheimische und Gäste Tür an Tür wohnen – oder wie man auf Walliserdeutsch sagt: «POORT A POORT». In einer ersten Etappe werden in zwei Gebäuden am Dorfplatz einige Zimmer und ein neugestaltetes Restaurant entstehen. Die Finanzierung, welche die eigens gegründete Stiftung «Dorf am Bettlihorn» übernommen hat, steht mittlerweile zu neunzig Prozent. Das Dorfhotel soll ab 2024 seine ersten Gäste empfangen.
Revitalisierung von historischen Dorfkernen
Aufgrund der gemachten Erfahrungen lassen sich verschiedene Schlüsselfaktoren identifizieren, welche Initiativen in der Dorfkernerneuerung begünstigen. Ein zentraler Faktor ist hierfür das Verständnis über die Wirkung der eigenen Initiative: Neue Entwicklungen anzustossen bedeutet stets eine Teamarbeit zwischen unterschiedlichen Beteiligten wie Eigentümern, Dorfbevölkerung, öffentlichen Behörden und Investoren. Aufgrund unterschiedlicher Interessen kommen einem partizipativen und lösungsorientierten Vorgehen grosse Bedeutung zu. Auch gilt, dass das Rad nicht immer wieder neu erfunden werden muss. In den letzten Jahren wurden in den Schweizer Berggebieten etliche Projekte mit Vorbildcharakter realisiert. Das rückt die Vernetzung ins Zentrum, um voneinander zu lernen. Die Projektverantwortlichen der Dorfkernerneuerung im Landschaftspark Binntal haben eine erste Erfahrungstagung organisiert, die seither –(getragen vom Netzwerk Schweizer Pärke, der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete und EspaceSuisse) im Zweijahresrhythmus seine Fortsetzung findet. Interessierte und Gleichgesinnte können sich so über relevante Themen wie Finanzierung oder Partizipation austauschen und gegenseitig vernetzen.
Solche Einzelinitiativen können wichtige Puzzleteile sein für eine nachhaltige Entwicklung historischer Dörfer. Die Revitalisierung eines Dorfkerns bringt Langfristigkeit mit sich und ermöglicht eine Wiederbelebung alter Häuser. Wer schnelle Erfolge erwartet, wird meist enttäuscht: Viel eher ist «ein langer Schnauf» gefragt, um zu verhindern, dass im Dorfkern die Lichter ausgehen.