Alpsaison: Immaterielles Kulturerbe der UNESCO – INTERVIEW MIT…
Die Alpsaison gehört zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO – aus diesem Anlass wurde am 4. Dezember 2025 der Verein «Lebendige Alpsaison» in Bern gegründet, welcher die Tradition als lebendiges Kulturgut stärken möchte, und sich aktuellen Herausforderungen annimmt.
Ein Gespräch mit Selina Droz (Schweizerischer Alpwirtschaftlicher Verband SAV) und Peter Küchler (Vereinspräsident «Lebendige Alpsaison»). Von Aline Stadler.
Aline Stadler: Selina Droz und Peter Küchler, die Alpsaison wurde in das immaterielle Kulturerbe der UNESCO aufgenommen. Welche Bedeutung kommt der Alpsaison durch diesen Schritt zu?
Peter Küchler: Das Wirken der Senner:innen und Hirt:innen auf den Alpen und die alpwirtschaftliche Tradition gehören mit dieser Anerkennung zum Weltkulturerbe, das heisst zu einer kulturellen Errungenschaft der Menschheit, die aufgrund ihres bereits jahrhundertealten Bestehens als schutzwürdig erklärt wird und weiterhin von Generation zu Generation weitergegeben werden soll. Da die UNESCO weltweit wahrgenommen wird, gewinnt die Alpsaison breite Beachtung. Als immaterielles Weltkulturerbe geht es aber nicht darum, einen landwirtschaftlichen Wirtschaftsraum oder gar eine typische Art von Alpgebäuden zu schützen, sondern das «sennische» Gedankengut zu bewahren. Dies ist weit herausfordernder als die Erhaltung eines materiellen Guts.
Selina Droz: Ich sehe diese Anerkennung auch als Wertschätzung für die nicht immer einfache und sehr strenge Arbeit der Älpler:innen. Während vieler Jahrhunderte haben sie die Alpweiden nachhaltig genutzt und gepflegt und so einen wertvollen Kulturraum in den Alpen geschaffen. Viel Wissen, das mit dieser Arbeit verbunden ist, wurde von den Älpler:innen selbst generiert und über Generationen weitergegeben, das ist eine grosse Leistung.
In diesem Rahmen gründet der Schweizerische Alpwirtschaftliche Verband SAV nun den Verein «Lebendige Alpsaison». Welche Ziele verfolgt der Verein?
Selina Droz: Wir möchten durch den Verein die Alpsaison als Kulturgut stärken, die Alpberufe aufwerten und die Alpwirtschaft weiterentwickeln. Konkret erhoffen wir uns durch die offizielle Anerkennung auch einen positiven Einfluss auf den Wert und den Absatz der Alpprodukte und mehr Gewicht für die Alpwirtschaft in den politischen Prozessen. Der Verein wird vor allem kommunikativ tätig sein, zum Beispiel mit einem neuen Internetauftritt.
Peter Küchler: Ein wichtiges Ziel ist ausserdem die Stärkung des Zusammenhalts – einerseits unter den Menschen, die auf Alpen und Weiden tätig sind in der Schweiz, aber auch über die Landesgrenzen hinaus. Andererseits geht es um den Zusammenhalt innerhalb der Gesamtbevölkerung. Wir möchten das Verständnis der Alpsaison in der Bevölkerung fördern, indem wir verständlich informieren, sachgerecht erklären und ihren Wert sympathisch demonstrieren.
Die Aufnahme der Alpsaison in die UNESCO thematisiert auch die Vulnerabilität der traditionellen Alpwirtschaft. Mit welchen Herausforderungen sieht sich die Alpsaison derzeit konfrontiert?
Peter Küchler: Die Welt ist in einem gewaltigen Umbruch und derartig dynamische Entwicklungen sind für alles Traditionelle eine Bedrohung. Für die Alpsaison sehe ich die Herausforderung insbesondere auf einer klimatischen und wirtschaftlichen Ebene. Der Klimawandel setzt für die Alpen und deren Bewirtschaftung neue Rahmenbedingungen. Insbesondere die Versorgung der Betriebe mit Wasser wird anspruchsvoller sein, aber auch die Sicherung der Infrastruktur, da die Berge zunehmend in Bewegung sind. Wirtschaftlich gesehen müssen die staatlichen Hilfen für die Alpwirtschaft langfristig gesichert werden. Lässt sich künftig genügend Fachpersonal finden, um die Alpwirtschaft sachgerecht betreiben zu können? Alpine Landwirtschaft ist eine wirtschaftliche Ressource, welche die Bevölkerung mit regionalen Produkten versorgt und auf ihre Konsument:innen angewiesen ist. Es geht an diesem Punkt auch um Aufklärungsarbeit: Wir möchten den Menschen den Wert und Nutzen der Alpprodukte aufzeigen. Sie entstehen in einer klimaschonenden Landwirtschaft, welche die alpine Biodiversität positiv beeinflusst und den Humusaufbau stärkt.
Die alpine Landwirtschaft ist von Folgen des Klimawandels besonders betroffen – man denke an Veränderungen im Niederschlagsverhalten, der Vegetation oder der Waldgrenze. Wie begegnet der Verein diesen Klimaänderungen?
Peter Küchler: Der Verein versteht sich nicht als Forschungsanstalt oder politische Kraft. Wir sehen uns vielmehr als Plattform und Drehscheibe für alle, die zum Thema Alpwirtschaft etwas beitragen können. Wir möchten beispielsweise die massgebenden Kreise der Klimaforschung und die Fachleute, welche an der Umsetzung von Massnahmen arbeiten, untereinander und mit der landwirtschaftlichen Praxis zusammenbringen. So möchten wir den Denk- und Entwicklungsprozess anstossen, weiterleiten oder vertiefen.
Selina Droz: Die ökologischen Zusammenhänge und deren Auswirkungen auf die Bewirtschaftung sind oft komplex und nicht auf den ersten Blick sichtbar. Es ist uns ein Anliegen, den Austausch zwischen den Leuten innerhalb und ausserhalb der Landwirtschaft zu fördern und die Alpwirtschaft den Menschen näher zu bringen.
Der Verein fungiert also auch als Projekt des Dialogs. Welche Auswirkungen hat die UNESCO-Anerkennung für Älpler:innen und weitere Fachleute aus der alpinen Landwirtschaft?
Selina Droz: Die Umsetzung der UNESCO-Anerkennung war von Beginn an, als wir das Bewerbungsdossier einreichten, als kooperatives Projekt geplant. Alle Akteure, die mit der Alpwirtschaft verbunden sind (neben der Alpwirtschaft sind das auch Kultur, Tourismus, Naturpärke, Beratung oder Forschung) sollen den Verein und seine Ziele mittragen. Ich sehe den Verein besonders in der Funktion eines positiven Impulsgebers. Nicht zu unterschätzen ist natürlich, dass durch die Vereinsgründung Projektgelder zur Verfügung stehen werden, die zugunsten der Alpwirtschaft eingesetzt werden können.
Vor wenigen Tagen wurde der Verein feierlich in Bern gegründet – welche Schritte stehen als Nächstes an?
Selina Droz: Das neue Jahr nach der Vereinsgründung wird wegweisend sein: Nebst den administrativen Aufgaben gilt es, möglichst viele Mitglieder:innen zu gewinnen. Nur wenn viele Personen und Organisationen aus allen Bereichen mitmachen, kann der Verein genug Wirkung entfalten. Wir sind zudem froh, haben uns die meisten alpwirtschaftlichen Kantone bereits ihre Unterstützung zugesagt – das ist wesentlich für ein gemeinsames Gelingen.
Peter Küchler: Es ist ein grosses Glück, dass wir den SAV als Geschäftsstelle für den neuen Verein beanspruchen dürfen. Wir holen dort nicht nur Kompetenz und Engagement ab, sondern auch die Gewissheit, wichtige Synergien von Anfang an nutzen zu können. Für das Jahr 2026 sind Veranstaltungen und Projektunterstützungen, die der Alpsaison dienen, geplant. Wir werden unter anderem auch an der Tagung «Zukunftsfähige Weidewirtschaften» im Rahmen des UNO-Jahres des Pastoralismus beteiligt sein.
Und zuletzt: Was wünschen Sie sich persönlich für die Zukunft der Alpsaison?
Peter Küchler: Ich wünsche mir, dass der Verein «Lebendige Alpsaison» von möglichst vielen Menschen unterstützt und getragen wird, weil man die Wichtigkeit des Alplebens erkennt und mithelfen will, diese Tradition zu erhalten und weiterzuentwickeln.
Selina Droz: Mögen die Älpler:innen auch in Zukunft von ihrer Arbeit leben können und Freude an ihr haben – und einmal sagen: «Diese Vereinsgründung damals, das war eine super Sache!».