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Kreisläufe schliessen – Kohlenstoffsenken in der alpinen Landwirtschaft

Ist die Berglandwirtschaft vor allem ein Verlierer im Zuge der Klimaerwärmung? Oder könnte sie auch eine Vorbildfunktion im Klimaschutz übernehmen? Die aktuellen Probleme mit Boden- und Nährstoffverlusten bieten gleichzeitig die Chance, neue Wege zu gehen und CO2-Bindung als Dienstleistung zu erbringen.

Die alpine Landwirtschaft unter Druck

Die eklatanten Unterschiede in der Berglandwirtschaft sind offensichtlich: einerseits Wiesen, die zu stark genutzt werden und von Blacken übersät sowie von Erosion gekennzeichnet sind; andererseits Alpweiden, die verbuschen, von Erlen durchsetzt oder im Fichtenwald verschwunden sind. An diesen beiden Extremen der Übernutzung sowie der Unternutzung von alpinem Kulturland leidet sowohl die Biodiversität als auch die Produktivität. Artenreiche Trockenwiesen verlieren an Terrain von allen Seiten. Die vielseitige Alpenflora steht unter Druck und mit ihr die Insekten, die Stabilität des Bodens und die traditionsreiche und wertvolle Kulturlandschaft. Bergmilch hat immer weniger mit den verschiedenen Kräutern zu tun, die der Milch einst wertvolle Inhaltsstoffe und den einmaligen Geschmack gegeben haben: Die Rationalisierungsprozesse selbst in der alpinen Landwirtschaft führen zu einem Übermass an Kraftfutter im Futtertrog der Tiere, zu erhöhtem Ammoniak- und Lachgasausstoss auf dem Hof und schliesslich zu überdüngten Wiesen. Im steilen Gelände wird der Stickstoff besonders rasch ausgewaschen und belastet Gewässer und Trinkwasser an alpinen Standorten, an denen man dies bisher nicht erwartet hätte.

So hat sich das Berggebiet von der Kohlenstoffsenke zur Kohlenstoffquelle gewandelt. Die intensivierte Landwirtschaft in den Alpen hat immer grösseren Anteil an klimaschädigenden Treibhausgasemissionen. Die eigentliche Stärke grosser extensiv genutzter Wiesen und Weiden wird damit zu einer Last. Dieses Problem vernichtet nicht nur natürliche Ressourcen, sondern bindet auch enorme finanzielle Mittel, die für den Wandel zur nachhaltigen Ernährungswirtschaft fehlen. Jeder Franken, der in nicht erneuerbare Energie fliesst, fehlt für den Aufbau von nachhaltigen Kreisläufen. Weder ausgewaschene Nährstoffe noch verbranntes Erdöl kommt wieder zurück. Jede Ernte braucht wieder neue nicht erneuerbare Ressourcen. So verbrennt die Schweizer Landwirtschaft mindestens drei fossile Kalorien, um eine für den Menschen essbare Kalorie herzustellen. Im Berggebiet ist man heute ganz besonders auf externe Inputs angewiesen: auf Kraftfutter, Diesel, Heizöl, teure Maschinen und Kunstdünger.


Das Mantra landwirtschaftlicher Intensivierung wiederholt sich in der alpinen Kulturlandschaft. Auf leicht zu bewirtschaftenden Flächen werden Bäume möglichst eliminiert und nutzbare Hänge begradigt, was wiederum Erosion und Bodenverlust erhöht. In den Talböden führen starke Winde – wie der Föhn oder thermikbedingte Böen – zu einer im Vergleich zum Mittelland noch schnelleren Austrocknung der Böden. Hier verschmerzt man in immer länger werdenden Trockenperioden die fehlenden Bäume besonders schlecht. Leider ist die Berglandschaft insgesamt durch den Klimawandel und durch die daraus resultierenden Extremwetterereignisse stark betroffen. Die Anstrengungen, diesen Herausforderungen zu trotzen, sind im Infrastrukturbereich bereits heute immens. Zwar konnte die Landwirtschaft bis vor Kurzem vom milderen Klima profitieren, wird sich aber zusehends mit Wasserknappheit und Bodenverlust konfrontiert sehen. Zusätzlichen Druck auf die Berggebiete übt zudem die reduzierte Schutzwirkung des Bergwaldes aus, in welchem die Klimaerwärmung verschiedene Kipppunkte anstossen kann.

Für eine produktive Berglandwirtschaft mit Klimaschutzleistung

«Natural Climate Solutions» könnten die neue Cashcow der Bergregionen werden: Der Wald wird optimal gepflegt, um gleichzeitig Schutzwald zu sein und CO2-Senkenleistung von höchster Qualität zu erbringen. Agroforstsysteme, in denen Bäume und Sträucher die als Weiden und Nutzwiesen genutzten Flächen durchsetzen, dominieren die Landwirtschaft auf allen Höhenstufen bis zur natürlichen Waldgrenze. Dadurch wird die Erosion minimiert, und die Bodensubstanz kann sich in wenigen Jahren erholen und wieder zulegen. Dank einer durchwegs produktiven Graslandbewirtschaftung, in welcher die Rückkopplung von organischer Biomasse im Zentrum steht, wird die Senkenleistung deutlich gesteigert. Eine Kombination von labilen Kompost-Produkten aus biogenen Abfällen, Strauchschnitt und Mist bringt die Nährstoffe verlustfrei auf die Flächen zurück. Gemischt wird dieser Humusaufbaudünger mit Pflanzenkohle aus Biomasse der Wälder und Agroforstsysteme. Das bisher verschmähte Holz wird für Pyrolyse genutzt, heizt im Winter und produziert begehrten Winterstrom.


Der Wald bindet CO2 und speichert Kohlenstoff mittelfristig dank dem Zuwachs der Biomasse. Das Holz kann für verschiedene Prozesse in der neuen Biomasse-Ökonomie genutzt werden. Später wird selbst Bauholz über eine Kaskade zu Pflanzenkohle verarbeitet und damit Kohlenstoff langfristig stabilisiert. Die steigenden Vorräte an Kohlenstoff im Boden ist die Rückversicherung für die natürliche Senkenleistung und die Produktion von wertvollen Nahrungsmitteln. Der Kohlenstoff baut sich zwar nur langsam im Boden auf, hat aber neben dem Senkeneffekt weitere positive Auswirkungen: sowohl auf die Stabilität der Erträge als auch auf die Anpassung an das sich verändernde Klima.


Das vollständige Abbrennen von Holz gehört damit der Vergangenheit an. Viel zu schade ist es, wenn die wertvolle Kohle ganz verbrannt wird. Denn sie liefert vergleichsweise nur noch wenig Energie, während der Kohlenstoff in Form von CO2 in der Atmosphäre dem Klima weiter einheizt und der eigentliche Nutzen als Kohlenstoffsenke verloren geht. Gleichzeitig – und das ist der springende Punkt – werden Pflanzennährstoffe vor allem in Form von Stickstoff sorgfältiger behandelt. Dadurch reduzieren sich die Lachgas-, Ammoniak- und Stickoxidemissionen merklich, insbesondere in der Tierhaltung. Zum einen werden weniger Tiere pro Flächeneinheit gehalten. Zum anderen wird die Vergandung durch eine Wiederbewirtschaftung traditioneller Weiden rückgängig und dadurch die Gesamtbewirtschaftungsfläche grösser gemacht. Die Bewirtschaftung wird arbeitsintensiver. Fleisch und Milch erzielen dank ihrer Qualität, Direktverarbeitung und Klimaleistung deutlich höhere Preise. Die Milch wird im Gegenzug ihrem Ruf als weisses Gold der Alpen wieder gerecht. Fleisch wird zwar seltener konsumiert, erhält aber einen besonderen Wert für die Ernährung, ergänzend zu vorwiegend pflanzlichen Produkten. Die neuen Sphären von Produktivität können mehr Menschen Ein- und Auskommen garantieren. Dank den weitläufigen Wiesen und Weiden, aber auch dank den artenreichen Wäldern, wird in den Alpen jetzt mehr CO2 gebunden als ausgestossen.

Stabilisierung des Stickstoffkreislaufes

Grafik: Visualisierung der heutigen Entkopplung der Kreisläufe und einer zukünftigen Vision, wie das System repariert werden kann © Ralph Sonderegger 2022

Die heutige Situation ist gravierend: Sowohl der Stickstoff- als auch der Kohlenstoffkreislauf sind unterbrochen. Der mangelhafte Eintrag von organischen Abfällen und Mistkompost führt zum Verlust von Bodenkohlenstoff. Damit kann der Boden den Stickstoff weniger gut binden und verliert den überhöhten Eintrag von Stickstoffdünger auf vielfältige Weise. So wird der reaktive Stickstoff als Nitrat (NO3-) in Gewässer ausgewaschen, entweicht als Ammoniak (NH3) oder Stickoxid (NOx) in die Luft oder reagiert weiter zum potenten Treibhausgas Lachgas (N2O) sowie des unschädlichen Luftstickstoffes (N2). Lachgas ist nicht nur ein 300-mal potenteres Treibhausgas als CO2 in der Troposphäre, sondern ist inzwischen Hauptverursacher für den Abbau der schützenden Ozonschicht in der Stratosphäre. Die Kreisläufe sind entkoppelt und befeuern einen Teufelskreis, in dem noch mehr Humus abgebaut und sowohl Stickstoff als auch Kohlenstoff aus dem Boden verloren gehen. Die Bodenbiologie verarmt und kann nicht mehr für die Stabilität und Produktivität sorgen.


Im Kontrast dazu wird im künftigen System dank einer sogenannten regenerativen Bodenbewirtschaftung der Humusaufbau gefördert, in dem der Kohlenstoffkreislauf wieder mit dem Stickstoff gekoppelt wird. Eine permanente Bodenbedeckung mit Pflanzen, eine schonende Bodenbearbeitung und sorgfältig verarbeitete und ausgetragene Komposterden ermöglichen dem Boden, sowohl Kohlenstoff als auch Stickstoff zu binden. Dank Agroforst-Bäumen, anderen mehrjährigen Kulturen, Untersaaten oder Mischkulturen steigt die Durchwurzelung des Bodens und dadurch die Produktivität deutlich. Das ernährt die Mikroorganismen im Boden und bringt zusätzlichen Kohlenstoff ein. Leguminosen können den geringeren Bedarf an Stickstoff decken, ohne auf den Verbrauch von fossilem Mineraldünger zurückgreifen zu müssen. Als zusätzlicher Booster für dieses System kann Pflanzenkohle (Biochar) vielfältig genutzt werden. Die Pyrolyse bietet eine mehrfache Nutzung von verholzten Reststoffen für Energie und langfristige CO2-Senke an. Im Boden speichert die resultierende Pflanzenkohle Wasser, Nährstoffe und Luft, während sie gleichzeitig Bakterien und Pilzen einen vielfältigen Lebensraum bietet, was zusätzlichen Kohlenstoff und Stickstoff stabilisiert. All das kehrt die Umweltbelastungen aus dem heutigen Bodensystem um und verbessert dessen Resilienz.

So hilft der nun mehr geschlossene Kohlenstoffkreislauf auch der Stabilisierung des Stickstoffkreislaufs. Damit werden zwei planetare Grenzen wieder eingehalten: zum einen die planetare Grenze des Klimawandels, zum anderen die ebenso wichtige planetare Grenze des Stickstoffkreislaufes. Dieser ist im Moment völlig aus dem Ruder gelaufen und bringt die unter der Überdüngung leidende Artenvielfalt enorm unter Druck. Umso mehr sind geschlossene Kreisläufe ein Gebot der Stunde – sie helfen sich gegenseitig, lokale und globale Probleme zu lösen.

Ein geschlossener Kohlenstoffkreislauf hilft, den Stickstoffkreislauf zu stabilisieren. Stickstoff-Emissionen als Ammoniak, Stickoxide oder Lachgas können im reichhaltigen Boden zurückgehalten werden. Die reduzierte Auswaschung als Nitrat entlastet die Gewässer.


Die natürlichen Senkenleistungen werden auf unterschiedlichen Ebenen honoriert: Ehemals verbuschtes Land wird wieder genutzt, Holz für unterschiedliche Prozesse eingesetzt und wertvolle Nahrungsmittel produziert. Es entstehen neue Produktivitätssphären und Arbeitsplätze.

Auch senken sich die Gesundheitskosten massiv. Junge Menschen interessieren sich wieder für das vielseitige Handwerk der alpinen Landwirtschaft, auch deshalb, weil sie der Sommerhitze des Mittellandes entkommen. Ältere Semester geniessen die artenreichen Wiesen und von Bäumen eroberten Landschaften. Die urbane Bevölkerung schätzt sowohl den lokalen als auch den globalen Nutzen der Berggebiete.

Hüppi, Roman (2021): Ein Update für den Selbstversorgungsgrad. In: ETH Zukunftsblog, 16. Juni, https://ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2021/06/update-fuer-den-selbstversorgungsgrad.html [10.06.2022].

Persson, Linn et al. (2022): Outside the Safe Operating Space of the Planetary Boundary for Novel Entities. In: Environmental Science & Technology, 18. Januar. doi:10.1021/acs.est.1c04158 [10.06.2022].

Schmidt, Hans-Peter / Kammann, Claudia / Hagemann, Nikolas (2020): Kohlenstoff-Senken fürs Klima. In: Ithaka. Journal für Ökologie, Weinbau und Klimafarming, 27. Dezember. https://www.ithaka-journal.net/kohlenstoff-senken-furs-klima [10.06.2022].

Spengler Neff, Anet (2020): FiBL-Studie zu den Umweltleistungen der Schweizer Berglandwirtschaft. In: Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL, 17. August. https://www.fibl.org/de/infothek/meldung/fibl-studie-zu-den-umweltleistungen-der-schweizer-berglandwirtschaft [10.06.2022].