Bürgle BE, Standort der geplanten Solaranlage (© M. Volken)

Alp Morgeten BE (© M. Volken)

Bürgle BE, Standort der geplanten Solaranlage (© M. Volken)

Planlos durch den Solarexpress – ein Fallbeispiel aus dem Simmental

Auch das Berner Simmental hat das fossile Zeitalter durchgemacht – und ist nun bereit für den Schritt Richtung Dekarbonisierung. Doch das erste Solarexpress-Projekt steht vor einigen Hürden. Ein Beispiel aus der Praxis von Bergbauer Christian Haueter und ein Blick zurück in die Geschichte der Karbonisierung im Tal.

Im Voralpengebiet des Simmentals wie im ganzen alpinen Raum der Schweiz findet die Karbonisierung der Energie mit Verspätung statt. Menschliche Landschaftsveränderung basiert die längste Zeit auf menschlicher und tierischer Energie. Deren Verfügbarkeit ist direkt von den natürlichen Ernährungs- und Futterressourcen abhängig, die die Landschaft in einem Klimabereich zwischen 800 bis 2100 Metern über Meer aus Biomasse erbringen kann. Bereits im Frühmittelalter wird auf «Kerbhölzern» die gemeinwirtschaftliche Nutzungsintensität an der vorhandenen Biomasse mit limitierten Nutzungsrechten nachhaltig und restriktiv geregelt. Das älteste schriftliche Dokument zur Nutzungsintensität der Alp Morgeten, dem geplanten Anlagestandort, stammt aus dem Jahr 1577. Subsidiär kommt die energetische Leistung von Wasserrädern, die lokal drei Mühlen und drei Sägen antrieben, dazu. In dieser Zeit verändert sich die Landschaft über Jahrtausende nur durch landwirtschaftliche Nutzungen oder Naturereignisse.

 

Mit dem zunehmenden Energiebedarf während der Protoindustrialisierung in den wachsenden urbanen Zentren wird die alpine Landschaft auch zum Energielieferanten in Form von Holz und gipfelt damals im Streit um alpine Hochwaldungen zwischen den lokalen gemeinwirtschaftlichen Nutzern und der bernischen Obrigkeit. In den unzugänglichen Waldungen des Morgeten- und des Peret-Tales wird im Winter Energieholz geschlagen, in Meterstücke gesägt und im Frühjahr auf dem Morgeten- und dem Bunschbach sowie auf der Simme teilweise bis nach Thun geflösst.

Die Karbonisierung beginnt

Im Jahr 1756 beginnt lokal bereits eine erste Phase der Karbonisierung von Energie. Damals erhält ein «Peter Roschi von Oberwyl eine Consession» zum Abbau von Kohle. Von 1760 bis 1860 wird mit einfachsten Mitteln lokal etwa 16 000 Tonnen Kohle abgebaut. In einer Renaissance während des Zweiten Weltkriegs werden nochmals 57 000 Tonnen gefördert.

 

Um 1905 beginnt mit dem Bau der Simmentalbahn das Zeitalter der fossilen Mobilität. Während des Ersten Weltkriegs verursacht die Abhängigkeit von Kohleimporten eine Energiekrise in der Schweiz, was die Nutzung von Elektrizität aus Wasserkraft weiter vorantreibt. Bereits 1898 wird beim Grandhotel Weissenburgbad, gespiesen vom Morgeten- und vom Bunschbach, das erste Wasserkraftwerk im Kanton Bern in Betrieb genommen. Im Jahr 1920 gründen Private und Talgemeinden die Elektrizitätsgenossenschaft EGSS in Erlenbach. Ein Projekt sieht vor, auch das Wasser des Morgeten- und des Bunschbaches in der Weissenburgschlucht aufzustauen und zu nutzen. Bereits damals erwächst Widerstand gegen ein lokales alpines Energieprojekt, vorab vom bernischen Regierungsrat Robert Grimm, der dem Vorhaben die Konzession verweigert, da der Vorsteher der «Sektion Kraft und Wärme» die Berner Kraftwerke BKW als staatlichen Akteur bevorzugt. Nach Prozessen, Bauverboten und Polizeieinsätzen wird schliesslich nur das Stockenseekraftwerk realisiert.

Die sichtbarsten Veränderungen der alpinen Landschaft in der Neuzeit basieren auf Kohle und Dynamit. Es ist jedoch das Erdöl, welches die klimatisch und landschaftlich nachhaltigste Veränderung bewirkt. In drei Generationen haben wir die Flasche mit der berauschenden fossilen Energie bis zum Boden der planetaren Grenzen leer gesoffen. Die Folgen des Rausches für das Klima und unsere Ernährungsgrundlage werden fatal sein und nicht bloss Kopfschmerzen verursachen. 

Globale Erwärmung als Anstoss

Die Idee, eine alpine Solaranlage auf dem höchstgelegenen Alpteil «Bürgle» zu bauen, basiert auf verschiedenen initialen Begebenheiten. Im Jahr 1992 baut die Alpkorporation Morgeten eine neue Alpkäserei. Gemäss Lebensmittelgesetz muss diese zwingend über eine lebensmittelkonforme Wasserversorgung verfügen. Ich biete an einer Hauptversammlung der Alpkorporation an, eine solche Wasserversorgung, gekoppelt an ein Kleinkraftwerk, zu planen und zu bauen und bekomme als Laie zu meinem Erstaunen den Auftrag. Die kantonalen Subventionsbehörden akzeptierten mein Projekt und eine Anlage, bestehend aus einer Quellfassung, drei Reservoirs, einer Entkeimungsanlage, zwei Pumpstationen, einem Turbinenhaus und vier Kilometer Wasser- und Stromleitungen. Das Projekt wird durch Genossenschafter in Eigenregie kostengünstig erbaut.

 

Das Trinkwasser wird über 300 Meter hochgepumpt. Zugleich werden drei Sennten mit elektrischer Energie versorgt. Ab der Planungsphase wird jedes Frühjahr die Quellschüttung gemessen. Diese beträgt anfänglich 1260 Liter pro Minute. Ab Beginn der 2000er-Jahre geht die Quellschüttung merklich zurück. Ende Hitzesommer 2003 müssen bereits einzelne Verbraucher abgeschaltet werden, damit die Melkmaschinen betrieben werden können. Im Herbst 2016 baut die Genossenschaft ein 60 Kubikmeter grosses Reservoir und installiert eine effizientere Turbine. Doch die Quellschüttung wird in jedem Folgefrühjahr kleiner. 

Blackout!

Am 4. August 2022 kommt der Blackout. Die Melkmaschinen fallen von den Eutern, das Reservoir ist leer, die Quelleschüttung von den 1260 Litern im Jahr 1993 auf nur noch 90 Liter gefallen. Nach 26 Jahren Laufzeit, in der das Kleinkraftwerk 125 000 Liter Diesel substituiert hat, müssen wir ein Notstromaggregat kaufen, um die Energieversorgung und, noch wichtiger, die Wasserversorgung für die bestehenden Infrastrukturen zu ermöglichen. Eilig bauen wir eine lange Notleitung von der letzten verfügbaren Quelle zum Kraftwerkreservoir und können so mit Biegen und Brechen sowie der Minimierung des Energie- und Wasserverbrauchs den Zeitpunkt des Alpabzugs erreichen.

 

Der Klimawandel hat in den Voralpen die im Altschnee gespeicherten Wasserreserven schwinden lassen und damit die Hydrologie im ganzen Alpenraum verändert. Die Gletscher schmelzen in dramatischem Tempo. Im alpinen Raum fallen die Niederschläge oft bis in grosse Höhen in Form von sich intensivierenden Starkniederschlägen und die Langzeitspeicherkapazität des Schnees schwindet. Die direkte Betroffenheit durch die Klimaveränderung wird zur unmittelbaren Ursache für die Planung der alpinen Solaranlage Morgeten.

«Solar … express!»

Im Herbst 2022 diskutiert das Parlament den Solarexpress (siehe Beitrag von Markus Schreiber). Das ist für mich Anlass, augenblicklich einen Projektentwurf für eine alpine Solaranlage zu kreieren, der die rechtlichen Parameter erfüllen würde. Die Absicht ist, angesichts unserer schwindenden hydraulischen Energie, für die Alp eine nachhaltige Energieversorgung sicherzustellen und gleichzeitig einen Beitrag zur dringenden Dekarbonisierung der Energieversorgung zu leisten. Absicht ist auch, mit diesem Projekt eine möglichst hohe regionale Wertschöpfung zu erreichen.

 

Drei Tage vor der Schlussabstimmung im Parlament platziere ich mein Projekt im Internet. Als Projektpartner habe ich mit dem Solarpionier Peter Stutz aus Thun und der Energie Thun AG eine glückliche Wahl getroffen. Um alle Fragen nach dem zuständigen Planungsbüro abschliessend zu beantworten, kreiere ich mir mein eigenes Planungsbüro mit dem Firmennamen «Planlos Engineering». Offensichtlich haben wir bei der Projektplanung alles richtig gemacht. Am 3. Mai 2024 erhält das alpine Solarprojekt Morgeten mit positivem Umweltverträglichkeitsbericht als erstes in der Schweiz eine Baubewilligung und alle Einsprachen werden erstinstanzlich abgelehnt.

Christian Haueter (© M. Volken)

Steine in den Weg legen

In hohem Tempo haben wir einen steinigen Planungsweg durch eine alpine Energielandschaft absolviert, darauf bedacht, Absturz und Schaden zu vermeiden und rechtzeitig das Ziel zu erreichen. Am Ziel warten aber Antagonist:innen, die sich in der fünften Landessprache, der Einsprache, äussern und diese auch an die nächste Instanz weiterziehen, während wir beladen mit der Last der Planungskosten das Projekt zu realisieren versuchen. Derweil schweben die Einsprecher:innen, verklärt, mühe- und risikolos über die Landschaft, zitieren Rilke und die Schönheit der Alpenwelt, welche sie als ihr Konsumgut vor einer erneuerbaren Energieproduktion zu schützen vorgeben, während eben dieser Alpenraum sich vor ihren geschlossenen Augen durch den fossil befeuerten Klimawandel dramatisch verändert und irreparablen Schaden nimmt.

 

Theoretisch und verbal wird erneuerbare Energie propagiert; real aber bleibt der Unwille und die Unfähigkeit, einen partiellen und reversiblen Eingriff eines konkreten Projekts gegen eine existentielle Bedrohung abzuwägen. Artikel 71a des Energiegesetzes zum Solarexpress wies noch verschiedene Mängel auf, die erst in der Frühjahrssession 2025 behoben wurden. Der fatalste wäre die vorgegebene kurze Deadline gewesen, nämlich bis Ende 2025 mindestens zehn Prozent der Anlageleistung einzuspeisen. Bei einer Grossanlage mit Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung, komplexen technischen Herausforderungen und klimatisch begrenzter Bauzeit im Gebirge wäre dies weiterhin eine Einladung gewesen, Projekte mittels Einsprachen lange genug zu verzögern, um sie aus dem Solarexpress zu werfen. Der zweite Mangel besteht weiterhin: Für alpine Anlagen und deren Anschlussleitungen gilt in nationalen Interessen ein beschleunigtes Verfahren, jedoch nicht für den nötigen Netzausbau. So sind zwei verschiedene Bewilligungsinstanzen zuständig, eine kantonale und eine eidgenössische, was teilweise zu kafkaesken juristischen Differenzen führt und infolgedessen auch zu zwei Beschwerdeverfahren. Aber wir bauen die Anlage!

Fazit

Mittlerweile sind die alpinen Solarprojekte radikal ausgedünnt. Für die noch verbleibenden hat der Ständerat bereits die Frist verlängert. Das Projekt Morgeten wird wohl eines der wenigen sein, das in der alpinen Energielandschaft realisiert wird. Die beschworene Dystopie einer mit alpinen Solaranlagen überdeckten Alpenwelt hat sich um Welten von diesem Szenario entfernt, dies gilt aber nicht für das Abschmelzen der Gletscher und das Auftauen des Permafrosts. In Zukunft wird auch kein Mangel an Gletschervorfeldern entstehen, denn das Jahr 2024 ist das wärmste in den Aufzeichnungen. Die Klimaziele von 1,5 °C Erwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter sind bereits überschritten.

Die Alp Morgeten ist eine Korporationsalp, historisch basierend auf alemannischem Landrecht, also korporatives Grundeigentum auf der Alp mit nutzungsberechtigten Privatgrundstücken im Tal. Das älteste schriftliche Dokument stammt aus dem «Seybuch» aus dem Jahr 1577. In diesem Verzeichnis der nutzungsberechtigten Grundstücke ist auch die nachhaltige Nutzungsintensität festgehalten. Archäologische Funde lassen auf eine weit über 2000-jährige Bewirtschaftung der Alp schliessen. Der Flurnamen Morgeten ist offenbar aus dem keltischen «morga» (Grenze) abgeleitet.

 

Die Alpfläche umfasst circa 450 Hektar auf einer Höhe von 1450 bis 2100 Metern über Meer. Die ursprünglich vertikale Nutzung der Alp wurde durch die Errichtung von vier «Sennten» (von lat. «saeptum», Zaun) rationeller gestaltet. Auf der Alp weiden circa 120 Kühe und etwa gleich viel Jungvieh während hundert Tagen im Jahr. In dieser Zeit werden mit dem nur durch Wiederkäuer nutzbaren Gras der Alpweiden 8 bis 10 Tonnen Alpkäse und 7,5 Tonnen Fleisch produziert – und hoffentlich bald auch 12 Gigawattstunden erneuerbare Energie auf circa 7 Hektaren Dual-use-Alpweidefläche.

Genge, Erwin (1938): Geologie. In: Simmentaler Heimatbuch. Bern, 25–42.