Kulinarik aus den Bergen – das Schwarze Alpenschwein kehrt zurück
Alte alpine Schweinerassen wurden noch lange in den Bergen gehalten, bevor sich moderne Leistungsrassen durchsetzten. Seit rund 120 Jahren werden Schweine vorwiegend im Flachland genutzt und gemästet. Heute sind Alpenschweine ins Berggebiet zurückgekehrt.
Einst hatte jede Region ihre eigenen und über Jahrhunderte an die lokalen Gegebenheiten angepassten Nutztierrassen. Diese gehörten, wie ihre spezifischen Bauten, zum Kulturerbe. Fast jede Talschaft hatte auch seinen eigenen Schweineschlag. Es existierte eine riesige Vielfalt im Alpenraum. Unterscheiden kann man zumindest zwei Haupttypen: die grossen und schweren Schweine des Flachlandes, die sogenannten Landschweine, und die leichteren, geländegängigen Bergtypen mit kürzerem Rumpf und längeren Beinen. Die althergebrachten Rassen und Schläge waren kaum «standardisiert». Man gab den Populationen einfach den Namen des Gebietes, in denen sie gehalten wurden.
Verschwunden und wiederentdeckt
Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden Leistungsrassen aus dem Ausland importiert, um der stark gestiegenen Nachfrage nach Fleisch nachkommen zu können. Die neuen, intensiv gehaltenen Rassen benötigten nur einen Drittel der Aufzuchtzeit und verdrängten bald die einheimischen Tiere. Allerdings konnte deren Fleisch in Geschmack und Konsistenz nicht mit jenem der extensiv aufgezogenen Alpenschweine konkurrieren. So schreibt Robert Sturzenegger in seiner Inaugurationsdissertation 1917, dass sich die Bäuer:innen selbst nicht wirklich für die neuen Rassen erwärmen konnten, «da sie bei der Hausschlachtung nicht das Fleisch erzielen, welches sich zur Herstellung der Dauerwaren in ihrem Kamin eignet».
Die modernen Leistungsrassen sind aufgrund ihres Körperbaus nicht für die Beweidung von Bergweiden geeignet (kurzbeinige, lange und schwere Körper) und fehlen in der Ökologie der Alpen. Die rosafarbenen Tiere haben kaum Hautpigmente und vertragen das starke UV-Licht der Alpen schwer. Sie leiden schnell unter Sonnenbrand. Sie müssen vor Wetterumschlägen, grossen Temperaturunterschieden und raschen Klimawechseln im rauen Alpenklima geschützt werden. Die modernen Tiere werden zwar zur Verwertung der Molke weiterhin auf Kuhalpen mitgenommen, werden dort aber meist in Ställen gehalten und mit hinzugeführtem Getreide gemästet. Mit den ursprünglichen, extensiven Weideschweinen haben sie nicht viel gemein.
Nur ein paar wenige Reliktgruppen der früheren Bergschwein-Schläge blieben in einzelnen Talschaften erhalten. Im Jahre 2013 gab es einen Fund letzter Veltliner- beziehungsweise Bündner-Schweine – jedoch war es wegen Inzucht hoffnungslos, diese «über die Runden» zu bringen. Dann folgte der Fund einer Reliktgruppe der Samolaco-Schweine und noch etwas später der letzten Ultner Schecken im Südtiroler Ultental. Es war zwar nicht möglich, jeden einzelnen Schlag zu erhalten, aber zumindest den alpinen Ökotyp der alten Bergschweine, die früher im ganzen zentralen und südöstlichen Alpenraum verbreitet waren.
Die drei Reliktgruppen wurden vom alpinen Netzwerk Pro Patrimonio Montano (PatriMont) in einem Gen-Pool zusammengeführt. Da es sich um schwarze oder schwarzgefleckte Tiere handelt, erfolgte die Zucht unter dem Namen «Schwarzes Alpenschwein» («Suino Nero delle Alpi») – einem Namen, der schon in der alten Fachliteratur für die «Gemeinschaft schwarzer Alpenschweine» verwendet wurde, so etwa 1827 bei Steinmüller. Das Schwarze Alpenschwein ist nun notgedrungen eine Komposit-Rasse, basiert aber auf Resten tatsächlicher Alpenrassen. Das Erhaltungsprojekt zielt auf ein marktfähiges Tier, das die Chance für eine nachhaltige Alpwirtschaft bietet. Der Erfolg hat sich in den letzten Jahren eingestellt: Heute gibt es im Alpenraum von vier Ländern (Österreich, Schweiz, Deutschland und Italien) wieder eine überlebensfähige Zahl an Zuchtgruppen. Dank ihrer Anspruchslosigkeit und Robustheit sind sie für extensive Freilandhaltung im Berggebiet prädestiniert. Um den Charakter der Tiere zu erhalten, werden sie von PatriMont nur ins alpine Berggebiet vermittelt. Zudem gelten Vorgaben zur Haltung und Fütterung der Tiere, wozu unter anderem der tägliche Auslauf und eine Grünfütterung zu 50 Prozent sowie das Verbot von Soya und Mais gehören.
Kulinarik
Das Schwarze Alpenschwein repräsentiert ein alpentaugliches und robustes Weideschwein. In einer Alpzeit von zumeist etwa 90 bis 100 Tagen nutzen die Schweine die grosse Artenvielfalt an aromatischen Berggräsern und -kräutern. Durch deren Aufnahme reichern sich im Fleisch der Schweine wertvolle Omega-3-Fettsäuren an, die dem modernen Schweinefleisch fehlen. Durch die ständige Bewegung der Tiere und das langsamere Wachstum dank extensiver Haltung wird das Fleisch auch kompakter und das Fett als Geschmacksträger im Körper besser verteilt (Marmorierung).
Die Erhaltung alter Rassen bedingt deren Nutzung und die Verwertung ihrer Produkte: «Erhalten durch Aufessen» lautet das Prinzip. Und je schmackhafter das Schwein, desto besser der Absatz. Für die Konsument:innen bedeutet die gegenüber heutigen Leistungsrassen zwei- bis dreimal längere Aufzuchtzeit allerdings einen höheren Preis. Dass das Fleisch dadurch eines Labels würdig ist, besagt eine Studie der Fachhochschule Graz: Sie belegt ein 1,4-fach günstigeres Verhältnis zwischen gesättigten und ungesättigten Omega-Fettsäuren. Die Haute Cuisine reagiert bereits darauf. Superior-Hotels verwöhnen ihre Gäste mit ausgeklügelten, neu-alten Menüs. Ein neuer Trend ist gesetzt!
Produkte aus extensiver Haltung – traditionell zubereitet, geschmacklich überdurchschnittlich gut und aus der Region – haben Zukunft. Die bisherige Vermarktung zeigt, dass heute ein zunehmendes Interesse an hoher Fleischqualität besteht. Die Kund:innen wollen nicht mehr Produkte von Tieren, die in Rekordzeit zum Schlachtgewicht heranwachsen, sondern langsam entwickeltes Fleisch, das schon im Körper gereift ist. Die Alpenschweine können genau das liefern und auch den erforderlichen Preis lösen. Um den Mehrwert rechtfertigen zu können, müssen sich Bäuer:innen und Mäster:innen aber an eine Reihe von Vorgaben betreffend Haltung und Fütterung halten. Dafür gibt es ein Label für ihre Produkte. Das ist die Chance für eine innovative Berglandwirtschaft.