Zinal VS (© M. Volken)

Les Haudères VS (© M. Volken)

Val d'Arpette VS (© M. Volken)

Les Haudères VS (© M. Volken)

Ringkuhkämpfe im Alpenraum: Eine Tradition im Wandel

Ringkuhkämpfe, die früher als Hobby der Hirten galten, wurden nicht von der Modernisierung der alpinen Gesellschaft verschlungen. Vielmehr werden sie als traditionelle Wettkämpfe weitergeführt. An den Spielregeln aber scheiden sich die Geister.

In der nordwestlichen Region des Alpenbogens, welche sich über Frankreich, Italien und die Schweiz erstreckt und im Herzen des frankoprovenzalischen Sprachgebiets liegt, sind die Kuhkämpfe ein beliebtes Spiel. Schon seit einigen Jahrzehnten werden sie als Tradition gepflegt. Diese autochthonen Kühe mit ihrem schwarzen oder braunen Fell haben ein lebhaftes Temperament, das sie dazu bringt, ihre Kräfte zu messen und eine Hierarchie in der Herde herzustellen. So kommt es, dass sie während der Sommermonate auf der Weide (im Rahmen der für die alpine Weidewirtschaft typischen stufenweisen Landnutzung) sowie bei Wettkämpfen in der Ebene Kopf gegen Kopf gegeneinander antreten – und das, bis die Schwächeren aufgeben und die Flucht ergreifen. Am Ende des Kampfes hebt die Siegerin, die von allen als «Königin» bezeichnet wird, ihren Kopf und thront regungslos. Das Publikum, das aus Züchter:innen und Liebhaber:innen, aber auch aus immer mehr Tourist:innen besteht, schart sich um die Ringkühe und verfolgt die Kämpfe mit grosser Spannung. Schliesslich steht bei diesen Kämpfen, die in einer natürlichen Arena oder in einem echten Stadion stattfinden, viel auf dem Spiel: Die Königin bringt ihrem Besitzer oder ihrer Besitzerin, dem Dorf und der Gemeinde Prestige.

Vom Spiel zum Sport und zur Show

Was früher ein simples Spiel der Hirten war, stösst seit einigen Jahrzehnten auf eine beispiellose Begeisterung und eine fortschreitende geografische Ausdehnung: Aus den Ringkuhkämpfen wurden Sport und Spektakel. Jedes Jahr finden Meisterschaften in Frankreich, Italien und der Schweiz statt und seit 2012 wird die Königin des Espace-Mont-Blanc in einem internationalen Kampf gekürt, der immer abwechselnd in einem der drei Länder stattfindet. Die zunehmende Beteiligung der Viehzüchter:innen und die Anwesenheit eines immer breiteren und vielfältigeren Publikums gehen einher mit der Unterstützung von Institutionen, insbesondere von kommunalen und regionalen Verwaltungen, Tourismusbüros und zahlreichen Sponsoren. Ringkuhkämpfe sind keineswegs im Zuge der gesellschaftlichen Modernisierung verschwunden. Vielmehr erneuern sie sich stetig, indem sie auf die Anforderungen einer sich wandelnden Landwirtschaft und eines geographischen Raum reagieren, der zusehends touristisch genutzt wird. Tatsächlich erfüllen diese Kämpfe – wie es Jean-Pierre Digard formuliert – «latente Funktionen», deren Bedeutung weit über die «offensichtlichen Funktionen» hinausgeht.

Vor dem Kuhkampf. Foto: Christiane Dunoyer.

Produzieren und spielen?

Es besteht eine Polarisierung zwischen zwei Sichtweisen auf die Kämpfe, die unterschiedlichen Gruppen von Viehzüchter:innen entsprechen – den traditionellen Viehzüchter:innen, die von ihrer Produktion leben, und den neuen Viehzüchter:innen, die über weitere Einkommen verfügen und es sich leisten können, Mittel aus anderen Wirtschaftssektoren in die Rinderzucht zu investieren. Die Organisation von Kuhkämpfen schafft neue Formen der Zusammenkunft und birgt gleichzeitig Konfliktpotential, das sich um die Legitimität und die Einhaltung der Spielregeln dreht. Handelt es sich bei diesen Ringkuhkämpfen um Spiele oder um eine Sportart? Handelt es sich um eine Tradition, die eingehalten werden muss oder auch Innovation zulässt? Soll es ein Fest sein oder ein Spektakel? Bei diesen Fragen scheiden sich die Geister.


Es gibt jedoch ein Grundprinzip, das noch nie in Frage gestellt wurde: die Verbindung von Milchproduktion und Kampffähigkeit. Eine ausschließlich auf den Kampf ausgerichtete Zucht wird auf das Schärfste verhindert. Denn als soziale und ethische Konstruktion entsprechen die Kämpfe den tiefgreifenden Dynamiken im Land der «Königinnen» – es geht um Loyalität, die Ehre der Königin und um Minimierung von Gewalt. Menschliche Handlungen, die zunächst aus einem spielerischen Bedürfnis heraus erfolgten, erweisen sich als nützlich, um ein gewisses Gleichgewicht in einer von zahlreichen Konflikten durchzogenen Gesellschaft zu gewährleisten. Von den Viehzüchter:innen, die sich innerhalb weniger Jahrzehnte von einer tragenden Säule der Gesellschaft zu Hüter:innen einer orientierungslosen Tradition entwickelt haben, werden die Kämpfe oft als Ventil oder vergebliche Zufriedenstellung empfunden – aber auch als Hauptmotivation, um an der landwirtschaftlichen Arbeit festzuhalten.

Eine festliche Dimension im Umbruch

Aber abgesehen von der grossen Spannung zwischen den Verfechter:innen eines spielerischen Ansatzes und denjenigen eines kämpferischen Ansatzes stellten wir in unserer Forschung fest, dass die Öffnung für ein auswärtiges Publikum neue Spannungen erzeugt. So haben wir im Laufe jahrelanger Beobachtungen die Umwandlung einer spontanen Praxis in eine zunehmend konventionalisierte Form beobachtet; in eine Form notabene, die sich den Anforderungen einer sich ständig entwickelnden Gesellschaft anpasst. Bei der Frage, wie man Gruppen außerhalb des landwirtschaftlichen Umfelds, etwa Stadtbewohner:innen aus der Umgebung oder Tourist:innen, ansprechen kann, denken die Organisationen über die festliche und spektakuläre Dimension der Kämpfe und über allfällige Anpassungen an neue Zielgruppen nach. Die festliche Praxis ist auf bestimmte Zeiträume, auf besondere Orte und auf eine kulturelle Kohärenz angewiesen: Bedingungen, die angesichts einer Radikalisierung sowohl der sportlichen als auch der spektakulären Dimension bei neuem Publikum und damit heterogenen Bevölkerungsgruppen eingeschränkt werden könnten und vielleicht auch verschwinden. Selbst das Streben nach einer Aufwertung der regionalen Produkte, das den Anforderungen der Viehzüchter:innen, die nach wirtschaftlichen Absatzmöglichkeiten suchen, und den Erwartungen eines bestimmten Publikums entspricht, bildet einen Konfliktherd innerhalb der Organisationsgruppen der Kämpfe. Die Legitimität, einen festlichen Moment in eine Veranstaltung mit kommerziellen und touristischen Zielen zu verwandeln, wurde dabei oft in Frage gestellt.

Die Eringer Kühe werden für Milchproduktion und Kämpfe genutzt. Foto: Christiane Dunoyer.

Viehzucht und Tourismus: zwei Ausblicke

Angesichts der globalen Krise ist es angebracht, sich die Frage zu stellen, welche Rolle die Subsistenzzucht einerseits und die Kuhkämpfe andererseits in den kommenden Jahren spielen werden. Ob die Berggemeinschaften mehr auf Milchkühe zur lokalen Nahrungsmittelproduktion oder auf Sportkühe zum Vergnügen der Tourist:innen setzen – oder ob sie nach wie vor den Weg der Komplementarität einschlagen.

Die Kühe, welche an solchen Ringkämpfen teilnehmen, werden im frankoprovenzalischen Raum im Grenzraum zwischen Frankreich, Italien und der Schweiz gezüchtet. Es wird zwischen den beiden Rassen der Eringer-Kühe aus dem Wallis und der Pie Noire-Châtain Valdôtaine aus dem Aostatal unterschieden, obwohl es sich nach Ansicht der Züchter:innen um dieselbe Rasse handelt. Sie werden, wie andere autochthone Alpenrassen, sowohl für die Milch- als auch die Fleischproduktion genutzt.


Züchtergemeinschaften haben die Kampffähigkeit ihrer Kühe manchmal hervorgehoben und manchmal auch verboten. Die jungen Hirten in der Tarentaise beispielsweise erfreuten sich an den Kämpfen ihrer Tiere. Doch die Goldmedaille der Pariser Landwirtschaftsmesse zu Beginn des 19. Jahrhunderts brachte sie dazu, auf die Produktion zu setzen und die Spiele ganz aufzugeben. Im österreichischen Zillertal wurden vor 50 Jahren die Kämpfe verboten, um die Milchproduktion und damit den Bestand der Zillertaler-Kühe wieder zu stärken.

Die Kämpfe werden bis jetzt nicht für den Tourismus organisiert, auch wenn manche (wie z.B. in Zermatt) durchaus Tourist:innen anziehen. Im Aostatal wurde der Höhepunkt der Publikumszahl wohl gegen Ende der 1990er Jahre erreicht: Man zählte anlässlich des regionalen Endspiels zwischen 10'000 bis 12'000 Personen. Es gibt keine offiziellen Angaben über den Prozentsatz der anwesenden Tourist:innen, aber dieser ist meistens niedrig.

Crettaz, Bernard / Preiswerk, Yvonne (1986): Le Pays où les vaches sont reines. Sierre.

Digard, Jean-Pierre (2003): Les animaux révélateurs des tensions politiques en République islamique d’Iran. In: Etudes Rurales (165-166), 123-131.

Dunoyer, Christiane (2008): Des Hommes et des Reines: les combats de bovins dans les Alpes occidentales. Thèse de doctorat sous la direction de Christian Bromberger, Université d’Aix-Marseille I. Atelier des thèses, Lille.

Dunoyer, Christiane (2017): Les nouveaux enjeux des Batailles de Reines: fête, sport et spectacle. In: Actes de la Conférence annuelle sur l’activité scientifique du Centre d’Etudes francoprovençales René Willien, Aoste, 21-22 octobre 2016, 77-91.

Dunoyer, Christiane (2018): Jeux de pouvoir et pouvoirs du jeu au 'pays des reines'. In: Jouer avec les animaux, ethnographiques.org (36).