Schanfigg GR (© M. Volken)

Schanfigg GR (© M. Volken)

Schanfigg GR (© M. Volken)

Schanfigg GR (© M. Volken)

«tschlfikk»: Ein begehbares Klangarchiv im Schanfigg – INTERVIEW MIT…

Im Bündner Tal Schanfigg wird lokale Kulturgeschichte hör- und erfahrbar gemacht. Klanginstallationen in rund 15 Dörfern widmen sich dem Walser Mundart, dem Getreidedreschen oder dem Musikhit «Gigi vo Arosa». Ein Einblick mit Initiatorin und Projektleiterin Carla Gabrí. Von Aline Stadler.

In den Sommermonaten 2024 bis 2026 kann man im Schanfigg Klanginstallationen und -objekte auf beiden Talseiten entdecken und auf diese Weise in lokale Kulturgeschichten eintauchen. Carla Gabrí, wie ist dieses Projekt entstanden?

Aus den Gesprächen mit den Einheimischen. Viel Wissen über das Tal zirkuliert mündlich und das Projekt liest sich als Versuch, erzähltes Wissen sinnlich erfahrbar zu machen. Die Klanginstallation «Geiss-Wippen» von Fabio Spink spielt mit dem Glockenklang umherhüpfender Geissen und steht an genau dem Ort, wo sich einst die Geissen von St. Peter und Pagig zum gemeinsamen Alpauf- und -abzug getroffen haben. Die Installation liest sich wie eine Antenne, die die Geschichte des Ortes registriert und per Klang signalisiert: Obacht, hier war mal was, hört her.

Alle 15 Klanginstallationen folgen einem ähnlichen Prinzip und sensibilisieren an den jeweiligen Originalschauplätzen für Aspekte der lokalen Kulturgeschichte, die verklungen und der Sichtbarkeit entzogen sind, aber den Ort, das Tal und damit auch die Menschen hier stark geprägt haben. In diesem Sinne möchte das Projekt dem Verklingen für einen Moment lang entgegenwirken. Die phonetische Umschrift [tʃl'fɪk] versteht sich übrigens programmatisch und löst diesen Versuch bereits im performativen Projekttitel ein: Einst bezeichnete man das vom Walser Mundart geprägte Tal Schanfigg als «Tschlfikk». Der Projekttitel ist eine Aufforderung, diese ehemalige Aussprache wieder zum Klingen zu bringen.

Die Klanginstallation «Geiss-Wippen» von Fabio Spink erinnert an die Ziegen von St. Peter und Pagig und ihren gemeinsamen Alpauf- und Alpabzug. © Tomm Gadient

Dieses Wiedererklingen von ortsspezifischen Geschichten entfalteten sich, wie Sie bereits erwähnten, im Dialog mit der Bevölkerung – ein Gemeinschaftsprojekt?

 

Jein, ich sehe das differenziert. Das Projekt ist im Reflex auf die Gespräche mit den Einheimischen entstanden und auch bei der Konzeptionalisierung und Umsetzung war der nahe Kontakt zu den Dorfbewohner:innen bewusster Teil des Arbeitsprozesses. Es ist mir ein grundlegendes Anliegen, dass unsere Projekte aus dem Ort selbst entstehen, und wir sie nicht künstlich aufpfropfen – der fortwährende Dialog mit den Einheimischen ist stets die unabdingbare Basis. In ein solches Projekt fliessen von allen Seiten unterschiedliche Kompetenzen hinein. Die künstlerische Umsetzung lag in der Verantwortung der Projektleitung und der engagierten Künstler:innen – das ist unsere Expertise. Es braucht Erfahrung und Feingefühl, wenn es darum geht, komplexe Sachverhalte sinnlich auf den Punkt zu bringen, insbesondere bei einem Projekt von solcher Grösse, bei welchem die Klanginstallationen auch nicht in einem kontrollierten Setting (wie in einem Museum), sondern draussen im Tal platziert sind. Meiner Meinung nach werden Projekte genau dann interessant, wenn dieses Rollenverständnis auf allen Seiten geschärft ist und man auf dieser Basis einen offenen Austausch auf Augenhöhe hat. Von den Künstler:innen haben wir verlangt, dass sie sich vorbehaltlos auf den Ort und die Einheimischen einlassen, und von den Einheimischen, dass sie den Künstler:innen wenn nötig entgegenhalten, ihnen aber letzten Endes auch vertrauen. 

In Calfreisen findet sich die Klanginstallation «Ei(n)s», die sich mit dem Spannungsverhältnis der Gemeindefusion auseinandersetzt. © Nina Homberger

Das Projekt widmet sich Klängen, welche die Orte im Tal präg(t)en. Weshalb haben Sie den Fokus auf Klänge und Geräusche gelegt? 

 

Es hat etwas Folgerichtiges, dass wir diesem Thema mit Klängen begegnen: Es geht um Wissen, dass in absehbarer Zeit nicht mehr weitererzählt wird und bald verstummt. Ausserdem war es uns ein Anliegen, nicht mit didaktischen Infotafeln zu arbeiten und die Menschen rein kognitiv zu adressieren, sondern auf sinnliche Art und Weise Wissen erfahrbar zu machen. Das ist ein mutiger Entscheid, zumal die einzelnen Themenfelder, die wir aufgreifen, durchaus komplex sind und man endlos lange darüber referieren könnte. Wir haben uns bewusst dagegen entschieden und mit den Klanginstallationen in situ sehr reduzierte, akustische Reize gesetzt. Sie sensibilisieren an Ort und Stelle und schärfen auf assoziative Weise das Bewusstsein für den Ort und seine Geschichte. In dem Sinne haben wir antizipiert, dass diese Reize nachhallen und auf niederschwellige Art und Weise dazu führen, dass über die behandelten Themen gesprochen wird. 

Pascal Lüthi sensibilisiert vor dem Wasserschloss in Lüen für das Zusammenspiel von Strom und Wasser. © Tomm Gadient

Und welche Echos nehmen Sie auf diese Klanginstallationen wahr, von Einheimischen, aber auch von Gästen?

 

Die Themen zirkulieren innerhalb der Gemeinde, aber auch zwischen Einheimischen und Gästen. In diesem Sinne fungieren die Klanginstallationen als Katalysatoren, die den wiederbelebten und behandelten Geschichten nochmals einen Aktualitätsbezug geben. Interessant sind besonders auch Klanginstallationen, die klingen könnten, aber nicht oft zum Klingen gebracht werden. Zum Beispiel die Installation «’dräscht» in Molinis. In Molinis (rätoromanisch für «Mühle») wurde einst im Dorf rhythmisch Getreide gedräscht. Für die Klanginstallationen wurde Getreide und Dreschflegel auf dem Dorfplatz bereitgestellt, doch Gäste halten sich zurück, die Dreschflegel zu benutzen, mitunter aus Sorge, dass das prägnante Geräusch als Lärm wahrgenommen werden könnte. Das ist ein interessanter Befund. Durch die Absenz des Geräuschs wird man mitunter noch stärker dafür sensibilisiert, dass das Dorf diesen einen Klang für immer verloren hat. 

Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Wie geht es weiter mit den Klangobjekten und den hervorgeholten Kulturgeschichten?

 

Die Klanginstallationen sind noch bis Herbst 2026 jeweils in den Sommermonaten vor Ort montiert. Danach werden wir einige der wartungsintensiven Installationen abbauen, andere sind so sanft und einfach in das Landschaftsbild integriert, dass sie uns ohne eigenes Zutun noch länger erhalten bleiben werden. Damit nimmt das Projekt seinen natürlichen Lauf – einige Klänge bleiben bestehen, andere verklingen. Geplant ist eine Begleitpublikation zum Projekt, die all diese unterschiedlichen Projektphasen dokumentiert und reflektiert. In diesem Projekt stecken viele Gedankengänge und Erkenntnisse, sodass es uns wichtig ist, einen Moment innezuhalten und zu reflektieren, was das Projekt mit uns gemacht hat und inwiefern es für ein allgemeines Nachdenken über Klang in der alpinen Peripherie anschlussfähig ist oder sich von vergleichbaren Projekten und Initiativen absetzt.

 

Schön ist auch zu sehen, wie sich dieses Projekt in anderer Form weiterzieht. Im neu eröffneten Viadukt Museum Langwies verfolgen wir den eingeschlagenen Weg konsequent weiter und integrieren mitunter sinnliche Momente, in denen Besuchende akustisch adressiert werden. In einer Station des Museums darf man zum Beispiel einen hohlen Betonpfeiler des Langwieser Viadukts betreten, der wie ein Klangkörper fungiert und Geräusche auf sehr distinkte Art und Weise wiedergibt – vor allem diejenigen von vorbeifahrenden Zügen. Wir vertrauen drauf, dass diese sinnliche Erfahrung für das Verständnis einer Sache wichtig ist. Sie hallt in den Besuchenden nach. Dieser Hall, dieses Echo, ist letzten Endes genau das, was wir mit unseren Projekten auslösen möchten.

 

Carla Gabrí, herzlichen Dank für diesen Einblick!

Im Skilift-Häuschen der durch Schneemangel bedrohten Sportbahnen Hochwang erklingen aus einer Jukebox Après-Ski Hits wie «SOS» von ABBA oder «Halt mi fest» von Atlantis. © Tomm Gadient

Klingende Kulturgeschichte im Schanfigg: Das kollaborative Projekt «tschlfikk» ist in Kooperation zwischen Carla Gabrí (Kulturhuus Schanfigg), Andri Probst (Arosa Kultur) und Marie-Claire Niquille (Pro Tschiertschen-Praden) entstanden. Informationen zum Projekt und den einzelnen Klanginstallationen finden sich hier.

Kuratorin und Projektleiterin Carla Gabrí stellte «tschlfikk» an der diesjährigen Netzwerktagung vom ALPS Alpines Museum der Schweiz vor, die in Kooperation mit dem Urner Institut Kulturen der Alpen in Altdorf am 2. Juli 2025 stattfand. Unter dem Titel «Wie tönt der Berg?» widmete sich die Netzwerktagung musikalischen alpinen Traditionen, akustischen Herausforderungen wie Verkehrslärm sowie innovativen Konzepten in Kunst und Wissenschaft. 

Inputvorträge hielten ausserdem: Kulturanthropologin Patricia Jäggi, Musikethnologe Marc-Antoine Camp, Künstler Leander Albin, Geschichtsprofessorin Nelly Valsangiacomo, Sozialwissenschaftler Philippe Vonnard. Die nächste Netzwerktagung vom ALPS findet im Frühsommer 2026 statt.