Olymp, Griechenland (© M. Volken)

Olymp, Griechenland (© M. Volken)

Heilige Berge – probate Instrumente für den Umweltschutz?

Rund um den Erdball gibt es zahlreiche Berge, denen in Geschichte und Gegenwart Heiligkeit zugesprochen wird: vom Mount Kailash in Tibet bis zum Uluru oder Ayers Rock in Zentralaustralien. Seit einiger Zeit werden sie auch für ökologische Zwecke verwendet.

Seit der schubartigen Zunahme des öffentlichen Umweltbewusstseins um 1970 hat sich jener Trend verstärkt, den man als «Greening of Religion» bezeichnet. Viele Religionen nahmen seither ökologische Anliegen auf und bildeten ihrerseits eine Kraft in diese Richtung. Gleichzeitig kam es zu einer strategischen Verbindung zwischen der westlichen Ökologie und indigenen Gesellschaften. In den Augen von Kritiker:innen der modernen Industriegesellschaft zeigten andere Kulturen, dass man auch rücksichtsvoll und nachhaltig mit der Umwelt umgehen konnte. Da die Heiligkeit von Naturelementen einen potenziellen Schutzfaktor bildete und die Einheimischen meist für das Sakrale zuständig schienen, ergaben sich mögliche Interessensallianzen. Eine Reihe von Projekten lotete daher aus, wie sich zum Beispiel heilige Berge für den Umweltschutz verwenden liessen. In den 1990er Jahren ergriff die International Union for the Conservation of Nature IUCN eine Initiative auf globaler Ebene. Sie setzte eine «Arbeitsgruppe für kulturelle und spirituelle Werte von Schutzgebieten» ein. Nach mehreren internationalen Konferenzen zog die Gruppe 2008 an einer Veranstaltung in Barcelona Bilanz. Eingeladen waren acht «Custodians» (Wächter) von «Sacred Natural Sites» aus vier Kontinenten: Asien, Lateinamerika, Afrika und Australien/Ozeanien (die Organisation und das Geld stammten dagegen aus Europa und Nordamerika).

«What are you tourists doing, so-called pilgrims?»

Zum Schluss legten die Veranstaltenden dar, dass man die heiligen Naturstätten als das historisch erste Netz von Schutzgebieten anerkennen müsse – ein Konzept, das wesentlich älter sei als die seit dem späten 19. Jahrhundert entstandenen modernen Natur- und Nationalparks. Die altehrwürdigen Orte leisteten einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität. Der Tourismus könne ihnen wirtschaftlich zustattenkommen, aber auch eine kulturelle und ökologische Gefahr darstellen. Die grossen (abrahamitischen) Religionen wurden als «mainstream religions» bezeichnet, nicht als «Weltreligionen», wie sie sich selbst gerne sahen. Auffällig abwesend unter ihnen war der Islam, vielleicht weil er geopolitisch ein heisses Eisen bildete. Auf jeden Fall schienen die indigenen Religionen für den Naturschutz geeigneter als dieser religiöse Durchschnitt.


Dementsprechend wurde deren Vertretung in den Vordergrund gerückt. Das Vorwort der Tagungspublikation brachte ein langes Gedicht, das eine sibirische Schamanin über ihren heiligen Berg Alkhanai verfasst hatte und mit einer Ermahnung an dessen Besuchenden begann: «What are you tourists doing, so-called pilgrims?» Am Schluss konnten die Vertreter:innen eine eigene Erklärung abgeben. Sie lässt sich als global-indigene Lehrmeinung verstehen. Auffällig daran ist, wie weit Heiligkeit begrifflich gefasst wird: «We also note that for many of us our whole territories are sacred and this includes our homes, communities, farms, footpaths, markets and meeting places; and that these territories include layers of sacredness often with different purposes, including those that are material and functional to humans».

Der Uluru oder Ayers Rock in Zentralaustralien. Erste fotografische Aufnahme des Berges aus dem Jahr 1894 (Baldwin Spencer, Museum Victoria).

Umgekehrter Umweltschutz

So wie sich der westlich orientierte Naturschutz ein Bild von indigenen Völkern machte, so begannen sich jene ein Bild von der Ökologie und ihren Ansprüchen zu machen. Gut untersucht ist ein solcher «reverse environmentalism»(umgekehrter Umweltschutz) bei tibetischen Buddhisten in China. Seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert breitete sich im Hochland ein Netz von Nichtregierungsorganisationen aus. Das Zeitalter der Projekte begann. Am heiligen Berg Khawakarbo war zum Beispiel die Zahl der Besuchenden massiv angestiegen, was den lokalen Weihrauch-Zypressen zusetzte. Diese Bäume boten Kleintieren ein Habitat, trugen zur Klimaverbesserung bei und reduzierten die Bodenerosion. Dank einem Projekt konnte der Weihrauch-Verbrauch stark gesenkt werden. Zentral dafür war die Unterweisung zweier Mönche, die den Karma-Verdienst von Pilgern in Frage stellten, wenn diese «den schönsten Schmuck» des Bergs als Opfer verbrannten. Ein Teil der tibetischen Aktivist:innen empfand die westlichen Umweltschützer:innen aber als arrogant. Nicht nur, weil sie das Geld und damit letztlich das Sagen hatten, sondern auch aus religiösen Gründen: Die Umwelt schützen zu können, war in ihren Augen ein vermessener, selbstgerechter Glaube; deren Zustand hänge mehr vom inneren Geistesstadium auf dem Weg des Buddha als von äusseren Aktionen ab. Und das Konzept der Biodiversität, das seltenen Arten einen höheren Wert zumisst, sei ungerecht; alle fühlenden Wesen der Welt verdienten die gleiche Sorge und Achtsamkeit.

Noch nicht probat, aber ausbaufähig

Von der kritischen Religionswissenschaft wurde auch die Frage aufgeworfen, ob und in welchem Mass religiöse Vorstellungen jeglicher Couleur überhaupt zum Umweltschutz beitragen. Die Frage ist komplex und empirisch schwierig zu beantworten. Die Autor:innen behelfen sich daher mit Meinungsforschung. Sie haben Hunderte von wissenschaftlichen Artikeln aus dem Bereich verarbeitet und kommen zu einem ambivalenten Schluss: Religionen seien tatsächlich von Bedeutung für ideelle und praktische Einstellungen zur Umwelt, doch der laufende Prozess des «Greening of Religion» werde weit mehr von gesellschaftlichen Kräften angetrieben als von innerreligiösen. Das gibt den profanen Initiativen des IUCN Auftrieb. Persönlich war ich immer der Meinung, dass wir die «Custodians» von heiligen Bergen nicht mit Ansprüchen überhäufen sollten. Naheliegender ist es, sich im eigenen Umfeld zu engagieren. Die sibirische Schamanin und die tibetischen Mönche tragen bestimmt Sorge zu ihrer inneren und äusseren Lebenswelt. Und wer möchte schon gerne ein Instrument anderer sein? Nun will ich mir die Sache aber neu überlegen. Auch wenn das Instrument gegenwärtig nicht probat ist, wie die angedeuteten Asymmetrien deutlich machen, hat die IUCN letzten Endes recht, einen solchen Dialog zu initiieren. Wird an seiner Justierung gearbeitet, könnte er für alle Beteiligten inklusive Umweltschutz fruchtbar sein.

Bernbaum, Edwin (2022): Sacred Mountains of the World. Veränderte Neuauflage (EA 1990). Oxford.

Mathieu, Jon (2022): Mount Sacred. Eine kurze Globalgeschichte der heiligen Berge seit 1500. Berlin.

Verschuuren, Bas / Wild, Robert / McNeely, Jeffrey / Oviedo, Gozalo (Hrsg. 2010): Sacred Natural Sites. Conserving Nature and Culture. London.

Taylor, Bron / Van Wieren, Gretel / Zaleha, Bernard (2016): The Greening of Religion Hypothesis (Part Two): Assessing the Data from Lynn White Jr. to Pope Francis. In: Journal for the Study of Religion, Nature and Culture 10/3, 306–378.

Yeh, Emily T. (2014): Reverse Environmentalism. Contemporary Articulations of Tibetan Culture, Buddhism and Environmental Protection. In: Miller, James / Yu, Dan Smyer / Van der Veer, Peter (Hrsg.), Religion and Ecological Sustainability in China, Abingdon, 194–219.