Niederrickenbach NW (© M. Volken)

Sonnenberg LU (© M. Volken)

Simplon VS (© M. Volken)

Zwischen Stadt und Berg: Digitale Multilokalität

Warum nicht das Homeoffice zeitweise in die Berge verlegen? Wissensarbeitende profitieren von der Digitalität, wenn es um multilokales Arbeiten geht. Dabei unterscheiden sich die Arbeitsabläufe je nach Aufenthalt in der Stadt oder im Berggebiet.

Die Arbeitswelt befindet sich im Wandel. Und das nicht erst seit Covid-19. Die Digitalisierung beeinflusst nicht nur, wie und wann wir arbeiten, sondern auch wo wir unserer Arbeit nachgehen. Digitale Technologien tragen dazu bei, dass der fixe Büroarbeitsplatz immer mehr zu einem Relikt vergangener Zeiten wird. Insbesondere Wissensarbeitende, die oft nicht mehr als einen Laptop und das Internet benötigen, können an unterschiedlichen Orten arbeiten. Solche ortsunabhängigen Arbeitspraktiken scheinen in der Schweiz zur Wiederentdeckung der Berggebiete als potenzielle Arbeitsorte zu führen. Die digitale Erschliessung der Berggebiete mit Breitbandinternet und das dortige Aufkommen zahlreicher Co-Working-Spaces sind Anzeichen dafür.

Vor diesem Hintergrund untersuchten wir, wie Wissensarbeitende multilokale Arbeitspraktiken zwischen Schweizer Städten und Berggebieten nutzen. Wir fragten uns, warum sich Wissensarbeitende für die Arbeit zeitweise in die Abgeschiedenheit der Berggebiete zurückziehen und inwiefern sich dadurch die Beziehung zwischen städtischen Zentren und alpinen Peripherien verändert. Gerade in der Wirtschaftsgeografie sind Stadt-Land-Verbindungen («urban-rural linkages») noch unzureichend analysiert und ein Forschungsdesiderat. Um Antworten auf diese Fragen zu finden, kreierten wir einen Mixed-Methods-Ansatz, bestehend aus sechs eng miteinander verknüpften digitalen und analogen Methoden – quantitativ wie auch qualitativ. Dafür haben wir in Absprache mit sechs multilokalen Wissensarbeitenden deren Laptop, Smartphone und Geolokation getrackt sowie sie dazu angehalten, ein digitales Tagebuch zu führen. Zur Ergänzung und Vertiefung begleiteten wir sie bei ihrer Reise vom städtischen Arbeitsplatz zu jenem in den Bergen. Dabei beobachteten wir teilnehmend und führten Interviews.

Marginalität in den Berggebieten nutzen

Jüngere Forschung erkannte, dass Marginalität (als eine Form von Abgeschiedenheit) kreatives Arbeiten und Denken begünstigt. Periphere Orte bieten sich bestens dafür an. Aber gelingt dies auch in der Abgeschiedenheit der Berge? Warum sollte ich, wenn ich mich für ein paar Tage in die Berge zurückziehe, arbeiten und nicht Ferien machen? Wissensarbeitende ziehen sich nicht aus Zufall oder purer Selbstgefälligkeit für kurze Aufenthalte in die Berge in ihr Chalet oder in einen Co-Working-Space zurück, um dort zu arbeiten. Es geht vielmehr darum, sich von Mitarbeitenden und Vorgesetzten räumlich zu distanzieren. Dies geschieht bewusst. Jedoch nicht, um kreativ, sondern um ungestört und in Ruhe zu arbeiten. Dies führt mitunter zu einer erhöhten Motivation, einer besseren Work-Life-Balance sowie einer konzentrierteren Arbeitsweise. Das hat damit zu tun, dass multilokale Wissensarbeitende in den Bergen zwar länger, aber mit mehr Unterbrüchen arbeiten und gleichzeitig weniger häufig ihren Laptop und ihr Smartphone verwenden.


Temporäres Arbeiten in den Bergen ist jedoch nicht gänzlich vom städtischen Arbeitsplatz losgelöst. Beide Arbeitsplätze sind vielmehr in Relation zueinander zu verstehen. Während der städtische Arbeitsplatz dazu dient, kreativ zu arbeiten, sich mit Mitarbeitenden auszutauschen oder auch, um spontane Begegnungen zu ermöglichen, dient der Arbeitsplatz in den Bergen dazu, die Arbeit flexibel zu gestalten und Pendenzen abzuarbeiten. Beide Arbeitsplätze situieren sich somit in einem wiederkehrenden Zyklus digitaler Multilokalität, der zur multilokalen Arbeit zwischen Stadt und Berg führt (Abbildung 1).

Abbildung 1: Wiederkehrender Zyklus digitaler Multilokalität.

Stadt und Berg – so fern und doch so nah

Stadt und Land, Zentrum und Peripherie – grösser könnten die Gegensätze wohl kaum sein. So könnte man meinen. Erst kürzlich griffen Studien der Wirtschaftsgeografie das Thema von Stadt-Land-Verbindungen vermehrt wieder auf. Sie stellten fest, dass ländliche Akteur:innen wie Unternehmer:innen oder Firmen Verbindungen zu ihrem städtischen Gegenüber kreieren. Sie tun dies beispielsweise, um an Wissen zu gelangen oder neue Absatzmärkte zu erschliessen. Auch die Digitalisierung scheint hier neue Stadt-Land-Verbindungen zu generieren, wobei Informations- und Kommunikationstechnologien (IKTs) temporäre Nähe zwischen entfernten Akteur:innen online ermöglichen. Mit einem spezifischen Blick auf solche digitalen Kommunikationstechnologien versuchten wir uns der Beziehung zwischen städtischen Zentren und ländlichen Peripherien – in unserem Fall den Berggebieten – gezielt anzunähern.


Es lässt sich einerseits feststellen, dass multilokale Wissensarbeitende Stadt-Land-Verbindungen schaffen, indem sie sich physisch zwischen dem Arbeitsplatz in der Stadt und jenem in den Bergen hin und her bewegen. Andererseits kreieren sie solche Verbindungen, indem sie IKTs verwenden. Insbesondere während der Aufenthalte in den Bergen kommunizieren sie mit Mitarbeitenden, Vorgesetzten oder Klient:innen in der Stadt. Dabei schaffen sie temporäre Nähe, indem sie Kommunikationsapplikationen wie beispielsweise E-mail, Skype oder WhatsApp verwenden. Sie tun dies entweder aktiv, indem sie gezielt eine Person kontaktieren, oder passiv, wenn sie für Akteur:innen aus dem beruflichen und privaten städtischen Umfeld erreichbar sind. Aber sie können auch Nähe vermeiden, indem sie ihr Smartphone und ihren Laptop ausschalten. Simpel, aber effektiv.

Ausblick

Digitale Multilokalität zwingt uns dazu, hinter den stationären Büroarbeitsplatz zu blicken und Wissensarbeit räumlich neu zu denken. Es liegt somit auf der Hand, flexible Arbeitspraktiken überregional zu verstehen, wobei Brücken, wie beispielsweise zwischen Stadt und Berg, geschlagen werden. In dieser Hinsicht ist es angebracht, Städte als unvergleichliche Zentren der Wissensproduktion kritisch zu hinterfragen.


Spätestens seit Covid-19 scheint ortsunabhängiges Arbeiten salonfähig zu sein. Arbeitgebende wie auch Arbeitnehmende haben sich zunehmend mit der neuen Arbeitssituation, wie beispielsweise dem Homeoffice, zurechtgefunden. Dieser Wandel könnte auch eine Chance für die Berggebiete bedeuten. Denn ob wir unserer Arbeit im Homeoffice nachgehen oder ob wir dies in einem Chalet in den Bergen tun, darauf kommt es wohl nicht (mehr) an.

Multilokale Arbeitspraktiken sind ein Forschungsdesiderat. Die Digitale Multilokalität ist abhängig von der Flexibilität von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden – für multilokale Wissensarbeitende bietet der Alpenraum eine unvergleichliche Arbeitsumgebung.

Das SNF-Projekt «Digital Multilocality» bildet die Grundlage für diesen Beitrag. Alle Projekte zum Thema «Entwicklungsdynamiken in ländlichen Räumen und Berggebieten» des Geographischen Instituts an der Universität Bern sind hier einzusehen.

Bosworth, Gary / Venhorst, Viktor (2018): Economic Linkages Between Urban and Rural Regions – What’s in it for the Rural? In: Regional Studies, 52(8), 1075–1085.

Bürgin, Reto. (2020): Heute hier, morgen dort - digital und ortsunabhängig arbeiten. In: Metron Themenheft 36, 14–16.

Bürgin, Reto / Mayer, Heike (2020b): Digital Periphery? A Community Case Study of Digitalization Efforts in Swiss Mountain Regions. In: Srikanta Patnaik / Siddharta Sen / Magdi S. Mahmoud (Hrsg.), Smart Village Technology: Concepts and Developments, 67–98.

Bürgin, Reto / Mayer, Heike / Kashev, Alexander et al. (2021). Digital multilocality: New modes of working between center and periphery in Switzerland. In: Journal of Rural Studies, 88, 83–96.

Bürgin, Reto / Mayer, Heike / Kashev, Alexander / Haug, Sigve (2022a): Far Away and Yet So Close: Urban-Rural Linkages in the Context of Multilocal Work Arrangements. In: Regional Studies 9 (1), 110–131.

Bürgin, Reto / Mayer, Heike / Kashev, Alexander / Haug, Sigve (2022b): Analysing Digital Multilocality Between Urban Centres and Rural Peripheries: Combining and Integrating Digital and Analogue Research Methods. In: Raumforschung und Raumordnung / Spatial Research and Planning, 1–17.

Grabher, Gernot. (2018): Marginality as Strategy: Leveraging Peripherality for Creativity. In: Environment and Planning A, 50(8), 1785–1794.

Hautala, Johanna / Ibert, Oliver (2018): Creativity in Arts and Sciences: Collective Processes from a Spatial Perspective. In: Environment and Planning A, 50(8), 1688–1696.

Mayer, Heike / Habersetzer, Antoine / Meili, Rahel (2016): Rural-Urban Linkages and Sustainable Regional Development: The Role of Entrepreneurs in Linking Peripheries and Centers. In: Sustainability, 8(8), 1–13.

Ojala, Satu / Pyöriä, Pasi (2018): Mobile Knowledge Workers and Traditional Mobile Workers: Assessing the Prevalence of Multi-Locational Work in Europe. In: Acta Sociologica, 61(4), 402–418.

Torre, Andre / Rallet, Alain (2005): Proximity and Localization. In: Regional Studies, 39(1), 47–59.

Weber, Bruca A. / Freshwater, David (2016): The Death of Distance? Networks, the Costs of Distance and Urban-Rural Interdependence. In: Mark Shucksmith / David L. Brown (Eds.), Routledge International Handbook of Rural Studies, 154–164.