Alpine Photovoltaik. Lässt sich das Lokale mit den planetaren Grenzen verbinden?
Angesichts der Klimaerwärmung sollen die Alpen neben der Wasserkraft einen zusätzlichen Beitrag an die Dekarbonisierung der Energiegewinnung leisten. Wie gehen wir mit dem Lokalen angesichts der planetaren Herausforderungen um? Ein Augenschein im Saflischtal der Oberwalliser Gemeinde Grengiols wirft die Fragen auf, denen wir uns zu stellen haben.
Gerade nimmt in diesem Juli die Hitzewelle ganz Europa in Beschlag. Immerhin war es hier in der Höhe im Bergdorf Binn über Nacht wenigstens so kühl, dass ich mich erholen konnte und nun bereit bin für den Aufstieg aufs Breithorn. Mein Tagesziel ist heute der Südhang vom Saflischtal auf dem Gebiet der Gemeinde Grengiols. Hier ist die grosse Photovoltaikanlage geplant, die sich über fünf Quadratkilometer erstreckt und die Leistung der Grand Dixence mit über zwei Terawattstunden pro Jahr aufweisen sollte.
Statt fossile Energieträger
Damit würde dieses Projekt einen wesentlichen Beitrag zur Dekarbonisierung der Schweizer Energieversorgung leisten. Ende Winter sind die Stauseen leer, und es droht eine Stromlücke, weil es der Schweiz weiterhin nicht gelungen ist, mit der EU ein Stromabkommen zu ratifizieren. In diesem kritischen Zeitfenster erreicht die Jahresproduktion aus alpiner Photovoltaik dank reflektierendem Schnee, bifazialen und senkrecht aufgestellten Panels, klarer und kalter Luft und viel Sonnenstunden ihren Peak, während im Mittelland auf vergleichbarer Fläche nur ein Bruchteil davon produziert werden kann (→ Jürg Rohrer). Zehn solche alpine Photovoltaikanlagen wie in Grengiols – kombiniert mit einem konsequenten Ausbau von Solaranlagen in den übrigen Regionen – würden die Versorgungslage mit Strom in der Schweiz entspannen, und es wären keine mit Erdgas betriebene Notaggregate notwendig, welche die fossile Pfadabhängigkeit nochmals verstärken würden. So läge für die planetare Grenze der Klimaerwärmung eine lokale Lösung bereit. Nur: Schütten wir nicht das Kind mit dem Bade aus? Denn weitere wichtige planetare Grenzen im Alpenraum betreffen nicht einfach die Klimaerwärmung mit immer intensiver werdenden Wetterereignissen wie Hitze, Überschwemmungen und Dürren, sondern auch die Überdüngung durch zu viel verfügbaren Stickstoff, der aus der intensiven Landwirtschaft von der Po-Ebene und dem Mittelland innert Stunden hierher verfrachtet wird, und Landnutzungsänderungen vorab in den alpinen Ressorts. Alle drei Herausforderungen bringen die Biodiversität noch weiter unter Druck.
Gefährdete Biodiversität…
Mit diesem Gedanken im Kopf erreiche ich langsam die Waldgrenze und treffe auf eine Heidelbeer-Pflückerin. Ja, noch nie seien die Beeren so früh reif gewesen wie in diesem Jahr. Gott sei Dank, noch vor der grossen Trockenheit, welche die Ernte gefährden würde. Verpasst habe man es, mit dem CO2-Gesetz die Weichen zu stellen. Ich grüble weiter, weiss nicht, ob dieses Gesetz denn auch wirklich gereicht hätte, die Schweiz auf Klimakurs zu bringen. Aber ein wichtiger Meilenstein wäre es gewesen, wendet sie ein – zu Recht. Ich ziehe weiter an der Saflischmatta vorbei – hoch ins Gelände – und bin beeindruckt von den Blumenwiesen.
Bereits unten im Tal hat mir der Alpenspezialist, Oberwalliser, Sagenerzähler und einstiger CIPRA-Präsident, angekündigt, es gebe hier oben Dutzende Pflanzen von der Roten Liste. Beigepflichtet hat ihm die junge Biologin und zukünftige Landwirtin aus Grengiols. Selbst auf Edelweiss würde ich treffen. Nun gut, es gibt ja noch seltenere Pflanzen. Aber von ihnen gibt es zuhauf, wie ich vor Ort feststelle.
… oder Energiebrache?
Gleichzeitig liegt mir der Wortlaut des Projektinitiators aus Brig noch in den Ohren, es handle sich hier um kein richtig gut nutzbares Weideland. Zu viel rutsche auf diesem Untergrund mit Bündner Schiefer immer wieder ab. Es sei schlichtweg zu karg und zu trocken im Sommer. Dagegen der Alpenspezialist, das Gelände sei insgesamt zu instabil, teilweise zu steil, so dass es mit den bifazialen Panels schwierig sei, einen höheren Ertrag zu gewinnen. Ein geologisches Gutachten würde wahrscheinlich das Projekt gleich begraben.
Ich selber bleibe im Gelände überwältigt von der Vielfalt dieses Südhangs. Es stimmt: In der oberen Hälfte dominieren karge Schieferpartien mit Pionierpflanzen, während sich an den übrigen Orten sanfte Grashänge mit abgerutschten Hangpartien abwechseln. Dennoch steht das Saflischtal nicht im Schweizerischen Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler, und ich bin nicht Experte für Biodiversität, sondern nur erstaunt über die vielen Insekten, von den Heuschrecken über Schmetterlinge und Fliegen bis zu Hummeln und Bienen. Gleichzeitig werde ich das Gefühl nicht los, dass das heisse Wetter, verbunden mit langanhaltender Trockenheit, bald eine braune Wüste hinterlassen wird.
Versuchsanordnungen für einen ‘guten Anthropozän’
Eigentlich gäbe es hier genug Stoff für eine breite Palette an Versuchsanordnungen: Würde eine partielle Verschattung durch die Panels das Austrocknen im Sommer zumindest ein wenig abbremsen und so die Vegetation in den Herbst hinüberretten? Die alpinen Pflanzen sind Künstler darin, sich den geeigneten Platz zu finden. (→ Christian Körner) Vielleicht könnte man die Panels – wie das bereits in der Agrivoltaik gemacht wird – ohne Fundamente verankern und auf Lärchenpfählen genug hoch aufständern, damit die Anlage nicht im Schnee versinkt und die Kühe problemlos darunter weiden können. Wäre es allenfalls möglich, die Anordnung der Panels dynamisch ans Gelände anzupassen? Dank Digitalisierung braucht es ja nicht mehr überall die einstige industrielle Gleichförmigkeit.
Ich träume von einer vom Menschen kleinräumigen und mitgestalteten Biodiversität innerhalb dieser nachhaltigen Energieproduktion. Ich träume einen differenzierten ökomodernistischen Traum, in dem der Mensch wie früher bei der Schaffung einer offenen alpinen Kulturlandschaft einen guten Anthropozän zu schaffen weiss. In dieser einsamen Landschaft – abgesehen von einem Biker, den ich unter dem Breithorn kreuze – spinne ich die Gedanken fort.
Provisorium aus Überzeugung
Oder wäre ein solcher Eingriff in diese isolierte Geländekammer dennoch massiv? Fotovoltaik ist zwar flächenintensiv, benötigt aber nur einen Bruchteil von Landwirtschaftsflächen für Biotreibstoffe. So braucht es die Entscheidung, wie und wo wir die alpinen Flächen für Photovoltaik placieren, damit wir die notwendige Fläche auch wirklich erreichen. Infrastrukturbauten allein genügen nicht. Sollen es ein paar wenige grossräumige Projekte sein oder sollen Skigebiete mit Panels durchsetzt werden? Oder gar eine Kombination davon? (→ Annina Boogen) Es ist an der Zeit, dass wir nicht für die Ewigkeit bauen. Ein Provisorium reicht, das man in dreissig Jahren wieder zurückbauen kann.
Vielleicht hat man bis dann die Kernfusion so weit entwickelt, dass sie wirtschaftlich nutzbar sein würde. Sie würde als Allerheilsmittel der Energieerzeugung nicht nur unseren Bedarf decken, sondern auch die Atmosphäre sanieren, indem der Treibhausgasanteil massiv reduziert würde. Es zögen wieder kühlere Sommer ins Land, falls bis dann nicht unwiederbringliche Kippunkte erreicht worden sind.
Tosendes Gletscherwasser
Bei meinem Abstieg bis Heiligkreuz am Ende des Saflischtals quält mich die Frage, in welcher Form die Alpen ihren Beitrag zur Eindämmung der Klimaerwärmung zu leisten haben, damit sie mit ihrer Biodiversität, aber auch als Wasserschloss für die umliegenden Regionen erhalten bleiben. Im Moment stehen die Zeichen auf Sturm. Wie ich aus der Twingischlucht heraustrete und an die Rhone gelange, erschlägt mich ein ohrenbetäubenden Rauschen: Milchiges Wasser vorab vom Rhone- und Fieschergletscher tost durchs Tal – und dies unwiederbringlich.