Walliser Ackerterrassen: Comeback des Roggenanbaus
Getreide war früher ein wichtiges Grundnahrungsmittel im Berggebiet: Dinkel in der Innerschweiz, Roggen im Wallis. In den kleinen Walliser Bergdörfern wurde der Roggen auf Ackerterrassen angebaut. Und kehrt heute wieder zurück – trotz Herausforderungen.
Die Walliser Ackerterrassen entstanden im Verlauf einer jahrhundertelangen Bewirtschaftung und ermöglichten, die steilen Hänge als Ackerflächen zu nutzen. Hier dominierte der Roggen, denn Roggen kommt am besten mit den harten Wintern und trockenen Sommern zurecht. So auch im Walliser Dorf Erschmatt auf 1'200 m.ü.M.: Hier baute man diese Getreideart hauptsächlich von Hand auf Ackerterrassen an, für die Bodenbearbeitung wurden teilweise Tiere eingesetzt. Zweimal pro Jahr backten die Leute das typische Roggenbrot aus Sauerteig im Gemeinschaftsofen. Nach dem Bau der Strasse nach Erschmatt 1956 wurde der Roggenanbau auf den Terrassen kontinuierlich aufgegeben – und verschwand schliesslich in den 1980er-Jahren. Viele Flächen werden seitdem als Wiesen und Weiden genutzt. Einige Flächen sind verbuscht, in der Zwischenzeit als Wald klassiert und stehen somit nicht mehr als landwirtschaftliche Nutzfläche zur Verfügung.
Erschmatt ist ein Beispiel von vielen Walliser Dörfern, in denen die Entwicklung des Roggenanbaus auf den Ackerterrassen ähnlich verlief und die Bewirtschaftung aufgegeben wurde. Ein wichtiger Grund war, dass Roggen den Stellenwert als Grundnahrungsmittel verloren hat. Zudem war die Bewirtschaftung der Terrassen von Hand sehr mühsam und diese wurde bis heute nicht angemessen mechanisiert. Ackerterrassen sind in der Regel kleinflächig und haben häufig enge Zufahrten. Die Hangneigung der Fläche ist, trotz der Terrassierung, hoch. Dies macht die Bewirtschaftung dieser Flächen schwierig.
Ackerterrassen und ihre ökologische Bedeutung
Trotz dieser herausfordernden Bewirtschaftung gibt es heute ein zunehmendes Interesse an den Ackerterrassen. Denn sie sind nicht nur für die Getreideproduktion interessant, sondern bieten auch Lebensraum für seltene Flora und Fauna: Es gibt Trockensteinmauern, extensive Wiesen, Sträucher, Hecken, Böschungen, Bäume, Totholz, und vieles mehr. Diese Strukturen bieten ideale Lebensräume für verschiedene Tierarten wie Heuschrecken, Schmetterlinge und Reptilien, und haben einen hohen ökologischen Wert. Nicht zuletzt sind die Terrassen auch touristisch wertvoll und prägen das Walliser Landschaftsbild.
Durch die extensive Getreideproduktion auf den Ackerterrassen wird auch der selten gewordenen Ackerbegleitflora Platz gelassen, die sich dort entfalten kann. Es handelt sich dabei um gefährdete Pflanzen, die den gleichen Lebensraum wie das Getreide nutzen. Diese Pflanzen wachsen gut auf trockenen Böden mit wenig Nährstoffen, benötigen eine jährliche Bodenbearbeitung und sind deshalb auf eine extensive Bewirtschaftung mit Getreide angewiesen. Werden die Getreideflächen aufgegeben – wie dies auf vielen Ackerterrassen passiert ist – verschwinden diese Pflanzen ebenfalls. Die Erhaltung der Ackerbegleitflora und der damit verbundenen Biodiversität auf dem Acker ist ein wichtiger Grund für das Interesse an den Ackerterrassen.
Roggen und ein 40-jähriger Mähdrescher
Seit 2003 werden in Erschmatt wieder Ackerterrassen bewirtschaftet und Roggen produziert: Die Erhaltung dieser Kulturlandschaft ist Ziel des Vereins ‘Erlebniswelt Roggen Erschmatt’. Anfänglich wurde durch viel Handarbeit eine kleine Fläche mit Winterroggen bepflanzt. In den über 20 Jahren hat sich die Anbaufläche nun vergrössert, sodass heute eine Hektare bewirtschaftet wird. Die Ernte war jedoch immer ein Knackpunkt, denn die heute üblichen «modernen» Mähdrescher sind zu gross für die engen Zufahrten auf den Ackerterrassen. So wurde der Roggen anfangs von Hand geschnitten und zu einem Mähdrescher gebracht – bis ein schmaler Mähdrescher (der ursprünglich für die Reisernte auf Terrassen in China entwickelt wurde) erworben und getestet wurde. Leider funktionierte dieser nicht ausreichend gut. Hingegen bewährte sich ein 40-jähriger Mähdrescher mit Hangausgleich, mit welchem nun die Ernte durchgeführt wird. Die Maschine kann alle Terrassen in Erschmatt befahren und ist als mittelfristige Lösung in Erschmatt gut geeignet. Es gibt jedoch einige Beispiele von Ackerterrassen im Wallis, wofür diese Maschine zu gross wäre.
Im Wallis gibt es viele Initiativen, die Ackerterrassen für die Getreideproduktion wieder zu nutzen. Das Interesse an der lokalen Produktion ist vorhanden und das Kulturerbe des Roggenanbaus wird ebenfalls als wichtig erachtet. Die Initiativen starten häufig mit einer kleinen Fläche, die gut von Hand bewirtschaftet werden kann. Sobald die Flächen vergrössert werden, stossen die Ernteversuche jedoch auf Schwierigkeiten: Die Mechanisierung der Ernte im Bergackerbau ist nicht so weit fortgeschritten wie die Mechanisierung der Grünlandbewirtschaftung im Berggebiet – so wurden gute Maschinen für die Heuernte auf sehr steilen Hängen entwickelt, nicht jedoch für die Getreideernte auf Terrassen. Die fehlende Mechanisierung ist derzeit ein Hindernis für den Getreideanbau auf grösseren Ackerterrassen und hemmt dessen Entwicklung.
Ideen für die Ernte
Die Schwierigkeiten für den Getreideanbau in Berggebieten betreffen den gesamten Alpenraum: Auch im Tessin, Südtirol, Aostatal und weiteren Berggebieten stehen die Landwirt:innen vor ähnlichen Herausforderungen. Deshalb ist die Entwicklung von Lösungen dringend notwendig und wird mit länderübergreifenden Projekten angegangen. Der Verein ‘Erlebniswelt Roggen Erschmatt’ hat zusammen mit dem Agroforestry Innovation Laboratory der Freien Universität Bozen und Landwirt:innen im Wallis und Südtirol vor Kurzem ein Projekt dazu eingereicht: Die Idee dieses Projekts ist es, bestehende Maschinen, die schon jetzt in der Berglandwirtschaft vorhanden sind und eingesetzt werden, für die Getreideernte herzurichten. Dieser «Retrofitting-Ansatz» erlaubt eine bessere Auslastung der Maschinen, einen kleineren Ressourcenverbrauch und individuelle Lösungsansätze. Das Projekt wird in direkter Zusammenarbeit mit motivierten Landwirt:innen umgesetzt und Lösungsansätze in der Praxis getestet und verbessert. Der Austausch zwischen dem Südtirol und dem Wallis wird durch Workshops und gegenseitige Feldbesichtigungen gefördert und das erworbene Wissen via Open Source für weitere Interessierte frei verfügbar sein.
Damit möchte das Projekt zur Förderung des Getreideanbaus in Berggebieten beitragen. Mit der nötigen mechanischen Unterstützung können Terrassenlandschaften im Alpenraum erhalten und für den Getreideanbau wieder genutzt werden – für die Kulturpflege, für die Biodiversität und nicht zuletzt für das Walliser Roggenbrot.