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NACHGEFRAGT bei...

Die Menschheit muss sich an die globale Erwärmung anpassen, lautete eine der Haupterkenntnisse des IPCC-Berichts 2022. Besonders stark bekommen es die Alpen zu spüren, doch gibt es bisher erstaunlich wenige Anpassungsmassnahmen. Wie können wir uns wappnen? Wir haben bei Veruska Muccione, Leitautorin des UNO-Klimaberichts, nachgefragt.

Aline Stadler: Frau Muccione, Tiere, Pflanzen und ebenso wir Menschen sind herausgefordert, uns an die klimatischen Veränderungen anzupassen – gerade bei Hitzewellen, wie wir sie auch in diesem Sommer erlebt haben. Zuerst einmal: Wie können wir uns in gesundheitlicher Hinsicht gut schützen?

Veruska Muccione: In der Schweiz sind Anpassungen in Bezug auf die Gesundheitsrisiken am dringendsten erforderlich, insbesondere in städtischen Gebieten, in denen sich den Prognosen zufolge in Zukunft die meisten Menschen aufhalten werden. Extreme Hitzeperioden wie während einer Hitzewelle können zu Hitzestress und einem Anstieg der Morbidität und Mortalität führen. Betroffen sind vor allem Kleinkinder, ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen. Aber auch gesunde Arbeitnehmer:innen, die im Freien arbeiten, sind bei Hitzewellen erheblich gefährdet. Die Verbreitung neuer Krankheitserreger aufgrund der steigenden Temperaturen stellt ebenfalls ein ernsthaftes Gesundheitsrisiko dar. Die Tigermücken zum Beispiel sind Überträger von Krankheiten wie dem Dengue-Fieber und verbreiten sich immer mehr. In der Schweiz haben wir bei der Anpassung an Hitzeextreme schon einige Fortschritte gemacht. Viele Städte und Kantone (zum Beispiel Genf oder Zürich) verfügen über Gesundheitsaktionspläne, die die Bevölkerung bei Hitzeereignissen informieren. Schweizweit haben wir ein Hitzefrühwarnsystem von MeteoSchweiz. Dies ist bereits ein guter Ausgangspunkt für den Schutz unserer Gesundheit. Viele wirksame Massnahmen sind auch verhaltensorientiert, wie etwa die Vermeidung von Exposition in den heissesten Stunden des Tages sowie Änderungen des Schlaf- und Trinkverhaltens.

Was wir weniger berücksichtigen, ist die Frage, wie sich diese verschiedenen Massnahmen oder deren Kombinationen bei zunehmenden Extremen verhalten werden, die oft weit über historische Aufzeichnungen hinausgehen. Um gut vorbereitet zu sein, brauchen wir gross angelegte transformative Massnahmen. Dazu gehört die Neugestaltung städtischer Räume, um blau-grüne Infrastrukturen zu integrieren, die Beschattungsflächen zu vergrößern und durch eine geringere Bebauungsdichte eine bessere Luftzirkulation zu ermöglichen.

Sie waren an der Erarbeitung des IPCC-Berichts von 2022 beteiligt, der ein besonderes Augenmerk auf Anpassungslösungen gelegt hat. Welches sind die gravierendsten Auswirkungen des Klimawandels, die wir im Alpenraum zu spüren bekommen?

Die Alpen sind vom Klimawandel besonders stark betroffen. Wenn Sie bedenken, dass sich die Schweiz seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schneller erwärmt hat als der globale Durchschnitt, so erwärmen sich die Alpen laut NCCS (Nationales Zentrum für Klimadienste) noch rascher, und dies hat mit ziemlicher Sicherheit erhebliche Auswirkungen. Die Gebirgsregionen erwärmen sich aufgrund von Faktoren wie der höhenabhängigen Erwärmung und der Abnahme von Schnee und Eis, die die reflektierenden Oberflächen verringern und die Wärmeabsorption erhöhen, schneller als der globale Durchschnitt – auch Veränderungen der atmosphärischen Zirkulation sowie Schwankungen der Wolkenbedeckung tragen zu einem schnelleren Temperaturanstieg in diesen Gebieten bei. Das hat zur Folge, dass die alpinen Gletscher seit 1850 65 % ihres Volumens verloren haben und weniger Schnee auf dem Boden liegt (minus 20 % auf etwa 2000m, minus 50 % auf etwa 800m und unterhalb von 800m gibt es einen erheblichen Verlust an Schneetagen). Die Null-Grad-Linie hat sich um 300 bis 400m nach oben verschoben. Wir erleben Starkregen, 12% intensiver und 30% häufiger. Im Sommer ist die Erwärmung in den Alpen generell stärker als im Flachland und nimmt tendenziell mit zunehmender Höhe zu.

Die Auswirkungen des Klimawandels haben zugenommen – mit sichtbaren und schwerwiegenden Folgen für Menschen und Ökosysteme in vielen Bergregionen. Die Exposition der Alpen gegenüber Klimagefahren wie Sturzfluten und Erdrutschen trägt zu einer weiteren Zunahme von Katastrophen bei. So verändert ein erhöhter Sedimenttransport das Abflussverhalten und die Gerinnemorphologie. Dies kann negative Folgen für den Hochwasserschutz haben, zu einer Verringerung der Leistung von Wasserkraftwerken führen und sich negativ auf die Gewässerökologie auswirken.

All diese gravierenden Veränderungen erfordern Anpassung – wo stehen wir denn heute punkto Anpassungsmassnahmen in den Alpen?

Es gibt Anzeichen, dass die Anpassung in Berggebieten stattfindet. Schweizer Alpenregionen haben eine lange Tradition von Schutz- und Präventionsmassnahmen wie Hochwasserschutz und Frühwarnsysteme. Wir sehen auch, dass naturbasierte Lösungen wie Schutzwälder eine wichtige Rolle beim Schutz vor Gravitationsgefahren spielen. Die Schaffung von mehr Raum für Wasser durch die Wiederherstellung und Verbreiterung von Flussläufen wird zunehmend in Betracht gezogen, da diese Massnahmen die Risiken wirksam und kostengünstig verringern können. Allerdings benötigen sie viel Platz, der im Gebirge nicht immer zur Verfügung steht. Das Ausmass an Anpassungen ist in Bezug auf Geschwindigkeit und Umfang der Umsetzung nach wie vor recht begrenzt – selbst in den Alpen.

In welchen Bereichen sehen Sie dringenden Handlungsbedarf?

In allen Sektoren besteht dringender Anpassungsbedarf – wichtig ist, dass die Anstrengungen sektorübergreifend koordiniert werden, um Kompromisse und Fehlanpassungen zu vermeiden. Wir wissen zum Beispiel, dass die Bewässerung ein wirksames Mittel ist, um den Wasserstress in der Landwirtschaft zu verringern. Der Bewässerungsbedarf wird infolge intensiverer und längerer Trocken- und Hitzeperioden weiter steigen. Wasser wird jedoch von vielen Sektoren benötigt, weshalb wir von einer sektorbezogenen Anpassung abrücken müssen. In der Schweiz kommen wir in dieser Richtung derzeit langsam voran, und die meisten Anpassungen finden sektoriell statt.


Außerdem besteht die Tendenz, Risiken mit probabilistischen Ansätzen zu managen; wir müssen uns jedoch mehr und mehr auf eine Planung und Entscheidungsfindung einlassen, die mit großen Unsicherheiten verbunden sind. Dies, um robuste und flexible Kombinationen von Anpassungsoptionen ermitteln zu können, die keine Sackgassen schaffen und einen gewissen Handlungsspielraum lassen. Zu bedenken ist gleichzeitig, dass sich nicht alles durch Anpassung vermeiden lässt, und auch Verluste in Kauf genommen werden müssen. Den Anpassungsmöglichkeiten sind zudem Grenzen gesetzt, insbesondere, wenn die globale Erwärmung 1,5°C übersteigt.

Wie steht es derzeit um den Hochwasser- und Murgangschutz im Alpenraum?

Es ist dringend notwendig, die Frühwarnprozesse zu verbessern und die Infrastrukturen (im Alpenraum und darüber hinaus) an höhere Niederschlagsmengen und die daraus resultierenden möglichen Hochwasserschäden anzupassen. Ausserdem gilt es, neben dem Klima auch die Natur zu schützen. Zum Beispiel schützt der Wald unsere Gemeinden seit Jahrzehnten vor schweren Gefahren wie Erdrutschen. Wir wissen jedoch, dass Wälder und Bäume durch Hitze und Trockenheit geschädigt werden, was ihre Schutzfunktion beeinträchtigen kann.

Welche Rolle nimmt dabei die Gefahrenkarte für Naturereignisse ein? Muss mit einschneidenden Massnahmen – wie beispielsweise Umsiedlungen in Bergregionen – gerechnet werden?

Gefahrenkarten sind sicherlich nützlich, um Risikolandschaften besser zu verstehen und um Siedlungen und Infrastrukturen in Hochrisikogebieten zu vermeiden. Da sich die Risikolandschaft jedoch verändert, zum Beispiel durch die veränderten Arten, Zeitpunkte, Intensität und Häufigkeit von Niederschlägen, müssen diese Risikokarten laufend aktualisiert werden, damit kein falsches Gefühl der Sicherheit entsteht. Sie müssen auch ausdrücklich auf Unsicherheiten eingehen. Das heißt, es ist wichtig, auch mit Unsicherheiten zu planen und robuste Optionen und deren Kombinationen zu wählen, die uns besser auf ein breites Spektrum von Unsicherheiten vorbereiten. Umsiedlungen oder Verlagerungen (sowohl temporäre als auch dauerhafte) können nicht ausgeschlossen werden – auch in den Alpen.

Und schliesslich: Welche Massnahmen müssen ergriffen werden, damit die Alpen weiterhin die Rolle als Wasserschloss Europas übernehmen können?

Es mag rhetorisch klingen, aber das Beste, was wir tun können, sind tiefgreifende und dringende Reduzierungen der Treibhausgasemissionen. Wir müssen in diesem Jahrzehnt aufhören, fossile Brennstoffe zu verbrennen, also jetzt.

Veruska Muccione, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

Hier geht's zum IPCC-Bericht «Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability», mitsamt Zusammenfassungen für politische Entscheidungsträger:innen.