Warten aufs tragende Eis: Wie die Klimaveränderungen Fische und Eisfischer:innen herausfordern
Die Klimakrise verändert Bäche, Flüsse, Seen und damit die Lebensräume der Fische. Die Eisfischer:innen befürchten, dass die Bergseen bald nicht mehr zufrieren. Eine Expedition in eine Welt, die vielleicht schon heute mehr der Vergangenheit als der Zukunft gehört.
Es ist Mitte Januar, und noch immer hoffen wir auf einen Polarwirbel oder wenigstens ein wenig sibirische Kaltluft. Damit sich tragendes Eis auf den Bergseen bildet, braucht es über mehrere Tage deutliche Minustemperaturen. Es wird Ende Januar, bis ich den ersten Anruf des promovierten Biologen und erfahrenen Eisfischers Res Hertig erhalte. Unsere heutige Schneeschuhwanderung führt uns zur Perle des Saanenlandes auf 1'542 Meter über Meer, an den waldumsäumten und fjordähnlichen Arnensee in der Gemeinde Gsteig bei Gstaad. Der ursprünglich natürliche See wurde 1942 mittels eines 17 Meter hohen Erdschüttdamms zusätzlich aufgestaut und wird zur Stromerzeugung genutzt. Er ist einer von einem Dutzend Bergseen in der Schweiz, auf denen das Eisfischen erlaubt ist. Früher war der Arnensee um diese Jahreszeit längst zugefroren. Doch die zunehmend milderen Winter führen dazu, dass dieses Naturphänomen immer später eintritt.
Rückläufige Fischbestände
Über dem Oldenhorn, das sich am Ende des Tales erhebt, hängt eine scharfkantige Mondsichel. Unweit von Feutersoey beginnt unsere Schneeschuhwanderung in Richtung Arnensee. Diese führt mehrheitlich dem idyllischen Tschärzisbach entlang. Währenddessen unterhält sich unsere kleine Eisfischergruppe über die Gewässer im Kanton Bern. Selbst wenn diese zum grössten Teil sauber sind, macht man sich Sorgen über die steigenden Wassertemperaturen, die zunehmende Trockenheit und die allgemeinen Mikroverunreinigungen. Ein weiteres Thema, welches sie beschäftigt, ist der Fischbesatz zur Kompensation menschgemachter Defizite. Dazu gehören die Folgen der Klimaerwärmung, welche sich in immer häufigeren Hochwasserereignissen sowohl im Sommer als auch im Winter, aber auch in immer länger andauernden Hitze- und Trockenphasen äussern. Diese haben die Bestände einzelner Arten massiv reduziert oder teilweise ganz ausgelöscht. Besonders stark betroffen waren bisher die Äschen und die Bachforellen. Die hydroelektrische Kraftwerksnutzung mit geringen Restwassermengen und Schwall/Sunk-Betrieb in den Fliessgewässern machen den Fischbeständen zusätzlich zu schaffen.
Rettende Besatzmassnahmen
Einige unserer Eisfischer helfen bei Besatzmassnahmen mit Jungfischen. Diese sollen Abhilfe schaffen. Sie werden von den kantonalen Fischereiverwaltungen geplant und mit viel Aufwand zur Stützung der Fischbestände durchgeführt. Fischereivereine und auch viele Fischer:innen helfen freiwillig mit. Fischer sind heute kaum noch Jäger, sondern in erster Linie Heger, wie es der waidmännische Fachbegriff treffend bezeichnet. Dennoch sind die Fischbestände insbesondere in den Fliessgewässern rückläufig. Während dem Gespräch wird klar: Fischbesatz ist kein Allheilmittel. Die Naturverlaichung – so sie denn noch funktioniert – produziert deutlich widerstandsfähigere Fische als solche aus der Zucht, selbst auch wenn letztere wilde Eltern haben. Deshalb sind Lebensraumverbesserungen wie Gewässerrevitalisierungen, Beseitigung von Fischwanderhindernissen oder mehr Gewässerbeschattung durch eine bessere Bestockung für die heissen Sommermonate für die Fische überlebenswichtig. Doch trotz diesen Anstrengungen geht es den Fischbeständen in vielen Fliessgewässern noch immer schlecht. Hier besteht noch viel Forschungs- und Handlungsbedarf
Die Eiskontrolle ist lebenswichtig
Mittlerweile haben wir den Arnensee erreicht. Langsam treten wir an das Ufer. Gemeinsam kontrollieren wir, ob irgendwo Risse, Brüche oder Löcher im Eis zu finden sind. Temperaturschwankungen und Neuschnee können dazu führen, dass man dünne Eisschichten übersieht. Schwankungen des Wasserstands, wie beim hydroelektrisch genutzten Arnensee, können heikle Eisabbrüche an der Randzone verursachen. Mittels eines Eisbohrers wird in Ufernähe erst mal die Eisdicke gemessen. Das Eis ist rund zehn Zentimeter dick. Wir wagen den Übertritt. Unsere Eisfischergruppe hat gute Kenntnisse über die Gewässerstrukturen des Bergsees. Wetter, Wind und Schatten haben jeweils ihren Einfluss, den es zu beachten gilt. Letztendlich helfen den Eisfischer:innen aber die fischereilichen Erfahrungen aus den Sommermonaten, um einen guten Standort zu finden. Auch wenn nach einer Stunde noch immer kein Fisch angebissen hat, bringt das die Eisfischer nicht aus der Ruhe. Sie haben inzwischen allerlei Naturbeobachtungen gemacht. Ihre eigene Art von Genuss beeindruckt mich. Auch wie sie ohne Erwartungsdruck und sichtbar zufrieden in der Kälte stehen. Sie sind für mich das Gegenmodell einer konsumorientierten Gesellschaft, welche sich ihr Fertigessen innerhalb von wenigen Minuten per Mausklick bestellt.
Neue Lebensräume für die Fische
Im Arnensee schwimmen Regenbogenforellen, Seesaiblinge, Kanadische Seesaiblinge sowie seltener Bachsaiblinge und Bachforellen. Neben diesen Lachsartigen sind Egli und Alet ebenfalls häufig in diesem See. Die Fischereibehörden legen grossen Wert auf einen nachhaltigen Umgang. Mehr als sechs lachsartige Fische pro Tag darf ein Eisfischer oder eine Eisfischerin nicht aus dem See holen. Doch das Vorkommen von Fischen in den meisten höhergelegenen Bergseen ist nicht natürlich. Viele Bergseen wurden und werden regelmässig durch die Fischereirechtsinhaber (meist sind dies Kantone, in einzelnen Fällen auch Private, Gemeinden oder Korporationen) mit Fischen besetzt. Dass sich gewisse Bergseen für die Besiedelung mit Fischen eignen, haben bereits die Mönche im Mittelalter entdeckt, die eigene Fischereien betrieben. Als Beispiel sei der Engstlensee im Berner Oberland erwähnt, welcher durch die Mönche des Klosters Engelberg früh fischereilich bewirtschaftet wurde. Auch bereits zu Zeiten der Römer:innen sollen Fische über die Alpen transportiert worden sein, erzählen unsere Eisfischer. Sie erklären, dass man in der Schweiz bereits vor gut 150 Jahren aufgrund von Bestandesrückgängen und den erwähnten Lebensraumdefiziten mit der professionellen Bewirtschaftung von Seen und Flüssen begonnen hat. Mittlerweile gelangen auf diese Weise jährlich Millionen von Jungfischen in natürliche Gewässer.
Für eine starke Fischerlobby
Am Ende der Eisfischerexpedition bereichern eine Regenbogenforelle und ein Saibling den mitgebrachten Lunch. Ein weiterer Saibling wurde wieder freigelassen, denn er entspricht nicht dem vorgegebenen Schonmass von 22 Zentimetern. Das macht Sinn, und so schreibt es auch das Fischereireglement vor: Jeder Fisch soll einmal im Leben die Chance haben, sich fortzupflanzen. Es versteht sich von selbst, dass alle Fischer:innen der nachhaltigen Fischerei verpflichtet sind. Der Schweizerische Fischereiverband hat sogar einen Ethik-Kodex herausgegeben. Dieser regelt, wie sich Fischer:innen gegenüber Fisch und Umwelt zu verhalten haben. Darüber hinaus werden sie darin aufgefordert, sich auch der Bewirtschaftung und der Erhaltung ausgewogener Gewässerökosysteme einschliesslich der Wiederherstellung und Renaturierung der Gewässer anzunehmen. Angesichts der Klimakrise braucht es Lösungen, denn auch die Biodiversitätskrise und die Energiekrise erfordern ein rasches Handeln. Da braucht es insbesondere für die Fische eine starke Lobby, denn sie zählen zu den bedrohten Lebewesen, die am wenigsten Gehör finden.
Nach dem Mittagessen packen wir unsere Sachen ein und räumen unsere Abfälle weg. Dann geht es zurück Richtung Ufer. Kurz vor dem Übertritt drehen wir uns noch einmal um und betrachten das schneebedeckte Eis. In den Gesichtern der Eisfischer scheint eine gewisse Melancholie zu liegen, denn sie wissen nicht, ob die Eisfischerei in ein paar Jahren überhaupt noch möglich sein wird.