Maderanertal UR (© M. Volken)

Wenn das Summen aufhört: Insekten in den Alpen und der Einfluss von Schadstoffen

Den Gebirgshummeln geht es ähnlich wie chinesischen Industrie-Ameisen. Schwerabbaubare Schadstoffe, beispielsweise als Pflanzen- und Flammschutzmittel eingesetzt, hinterlassen ihre Spuren bis heute – eine Herausforderung für die Biodiversität und deren Bewohner in den Alpen.

«Der Frühling ist da, doch seine traditionellen Boten – Vögel, Blumen – fehlen. Sie sind durch eine unsichtbare Kraft zum Schweigen gebracht, und die Natur, die einst doch so lebendig war, bleibt stumm.» So beschrieb die Biologin Rachel Carson die beunruhigende Stille des Frühlings bereits im Jahr 1962. In ihrem Werk «Silent Spring» (Der stumme Frühling) warnte sie eindringlich vor den schädlichen Auswirkungen von Pestiziden auf die Umwelt und prangerte die weitverbreitete Anwendung von Chemikalien an. Carson betonte, dass dies über kurz oder lang nicht nur die Natur, sondern auch die Gesundheit der Menschen gefährden würde. Ein besonderer Schwerpunkt ihrer Ausführungen lag auf der Bedrohung durch persistente, schwer abbaubare Schadstoffe, die auch als POPs bekannt sind. Die Veröffentlichung dieses Buches löste in den USA hitzige Debatten aus. Erstaunlicherweise vergingen jedoch weitere vierzig Jahre, bis im Jahr 2004 eine internationale Übereinkunft, die Stockholmer Konvention, unterzeichnet wurde, die die Verwendung einiger besonders besorgniserregender Klassen von POPs weltweit verbot.

Die nachhallende Stille: Das Erbe von Silent Spring

Die Anwendungsbereiche dieser Stoffgruppen waren bis dahin sehr vielfältig. Agrochemikalien wie Lindan, Chlordan und DDT wurden im Pflanzenschutz eingesetzt, wobei letzterer auch zur Bekämpfung von Krankheitsüberträgern wie Malaria bekannt wurde. Darüber hinaus gehörten auch Flammschutzmittel oder Nebenprodukte aus industriellen Verbrennungsprozessen. Unabhängig davon, ob sie gezielt oder unbeabsichtigt hergestellt wurden, bergen persistente organische Schadstoffe (POPs) erhebliche Risiken für die Umwelt. Die toxikologischen Auswirkungen variieren dabei stark zwischen den einzelnen Organismen. Studien haben bisher Missbildungen, eine verminderte Fortpflanzungsfähigkeit, hormonelle Störungen, eine erhöhte Sterblichkeit sowie veränderte Verhaltensweisen als Folgen von POPs bei Wirbeltieren und Menschen dokumentiert.


Wer annimmt, dass sich die Umweltverschmutzung durch POPs ausschließlich auf das Agrarland und Industriegebiete beschränkt und die Bergwelt als unberührte Oase verschont geblieben ist, hat leider weit gefehlt. Denn auch hier, scheinbar fernab vom Pestizideinsatz und der Industrie, ist eine Belastung zu verzeichnen – auch zwanzig Jahre nach der weltweiten Verbannung. POPs haben eine extrem langsame Abbauzeit, die sich über mehrere Jahrzehnte erstrecken kann. Selbst an den entlegensten Orten wie der Arktis oder auf den hoch aufragenden Gipfel der Alpen sind nach wie vor erstaunlich hohe Konzentrationen von Schadstoffen messbar. Darüber hinaus können POPs mit den Luftmassen weite Strecken zurücklegen und so um den ganzen Globus verteilt werden. Nicht zuletzt lagern sich die Stoffe mit dem Niederschlag wieder auf dem Erdboden ab. Besonders in Gebirgsregionen mit den hohen Niederschlagsraten reichern sich diese Schadstoffe daher über Jahrzehnte in grossen Mengen an.

Die unsichtbare Last auf den Flügeln der Berghummeln

Der Einfluss von persistenten organischen Schadstoffen (POPs) auf Insekten in Bergregionen ist bis dato nur unzureichend erforscht. Das Projekt «protectAlps» hat sich dessen angenommen und untersucht die Einwirkungen unter anderem auf Hummeln. Hummeln sind kälteadaptierte Spezialisten und können dank einer bemerkenswerten Anpassungsfähigkeit selbst auf die höchsten Gipfel gelangen. In alpinen Ökosystemen nehmen sie als äusserst effiziente und wichtige Bestäuber eine entscheidende Rolle ein.


Die Wege, auf denen Hummeln mit POPs in Kontakt kommen können, sind vielfältig. Zum einen geschieht dies über die Luft: Insbesondere während warmer Sommermonate verdampfen POPs leicht aus dem Boden, sättigen die Luftschicht über der Bodenoberfläche mit toxischen Substanzen und setzen die Hummeln damit einem erhöhten Risiko aus. Zum anderen nehmen Hummeln als Bestäuber POPs über den Pollen und Nektar auf, in denen sich Substanzen aus der Luft und durch verschmutztes Wasser in der Pflanze anreichern. Der Kontakt kann auch über das Nest im Boden erfolgen.

Untersuchungen haben fast die Hälfte der insgesamt 77 getesteten persistenten, organischen Schadstoffen (POPs) in Körpern der Hummeln nachweisen können. Zusätzlich zu den POPs wurde auch Quecksilber in erschreckend hoher Konzentration gefunden. Quecksilber gilt als eines der giftigsten Schwermetalle und wird hauptsächlich durch die Industrie und den Verkehr freigesetzt. Im Vergleich zu einer Studie in einem bedeutenden Chemiestandort in Nordost-China zeigt sich, dass die Belastung der Gebirgshummeln in einer ähnlichen Grössenordnung wie die der chinesischen Industrie-Ameisen liegt. Die Werte in den Alpen sind besorgniserregend hoch und die Folgen für die Bestäuber aufgrund fehlender Erfahrungswerte nur vage abschätzbar.

Vom Räderwerk der Natur

Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit verdeutlichen, dass selbst die entlegensten Orte in den Alpen nicht verschont bleiben – im Gegenteil: Sie können schwer belastet sein und die Existenz mancher Organismengruppen erheblich bedrohen. Das Verschwinden einer einzelnen Insektenart, wie zum Beispiel der Hummel, mag auf den ersten Blick nicht sonderlich tragisch erscheinen. Jedes noch so unscheinbare Lebewesen muss aber seine Funktion erfüllen, um ein fein abgestimmtes Ökosystem langfristig zu erhalten. Ein intaktes Ökosystem ist wie das reibungslose Zusammenspiel verschiedener Zahnräder, bei denen jeder Zacken eine Tier- oder Pflanzenart repräsentiert: Nur wenn alle Zahnräder mühelos drehen und ineinandergreifen, funktioniert das gesamte System. Wenn ein Zahnrad oder sogar ein ganzes Räderwerk verloren geht, kann dies dazu führen, dass sich das Ökosystem im Laufe der Zeit abnutzt oder sogar verkantet, was schliesslich zu einem Stillstand der Ökosystemfunktionen führt. Dadurch geraten essentielle Ökosystemleistungen wie die Bestäubung oder die Sicherstellung von sauberem Trinkwasser aus dem Gleichgewicht, was auch für uns Menschen einschneidende Konsequenzen hat.

Bedrohte Ökosysteme in den Alpen

Die Alpen, ein Hotspot der Biodiversität, stehen vor drastischen Herausforderungen. Aufgrund der weltweiten Umweltverschmutzung und der globalen Erderwärmung geraten auch die letzten unheimlich wertvollen Lebensräume unter Druck. In den kommenden Jahrzehnten droht uns voraussichtlich das grösste Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier. Angesichts der Tatsache, dass Schadstoffbelastungen, aber auch der Klimawandel und andere Bedrohungen an keinen Ländergrenzen Halt machen, sind wir dazu aufgefordert, länder- und kontinentübergreifende Ansätze zu verfolgen, um das langfristige Überleben spezialisierter Arten zu sichern. Die Folgen früherer Versäumnisse begleiten uns noch lange in die Zukunft und die vorliegenden Daten verdeutlichen einmal mehr: Was unten im Tal geschieht, hat mindestens genauso grosse Auswirkungen auf die doch so schützenswerte Bergwelt.

Das Forschungsprojekt «protectAlps» untersucht schädliche Auswirkungen von chemischen Stressoren auf Insekten in alpinen Ökosystemen. Es wurde finanziert von der Europäischen Union im Rahmen des INTERREG-A-Programms «Projekt zur Erfassung chemischer Stressoren zum Schutz der alpinen Biodiversität mit Schwerpunkt Insekten».

Die Untersuchungen und Messungen von Sabrina Gurten beziehen sich auf den österreichischen Berg Hoher Sonnblick und auf den deutschen Gipfel Zugspitze. Ihre Masterarbeit wurde mit einem Forschungspreis der Nationalparks Austria ausgezeichnet und finanziell unterstützt, und unter der Leitung von Prof. Birgit Schlick-Steiner und Assist. Prof. Florian Steiner an der Universität Innsbruck durchgeführt. Die Ergebnisse werden demnächst in einer umfangreichen Publikation veröffentlicht, gemeinsam mit Forschungsresultaten zu Schadstoffbelastungen auf weitere Insekten (Ameisen und Aaskäfer) entlang der Trophie-Ebenen.

Artikel "Lauernde Gefahr für Hummeln" in Nationalparksaustra

Projektseite "ProtectAlps"

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